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Schriftliche Abschlussarbeit

Institut für soziales Lernen mit Tieren

Berufsbegleitende Weiterbildung

Tiergestützte Pädagogik/
Tiergestützte Therapie

Kurs VI März 2004 – Mai 2005

 

 

 

Schlaganfall -

Einsatzmöglichkeiten eines Hundes

zur Verringerung dauerhafter psychosozialer Folgen des Krankheitsbildes

in Verbindung mit fortschreitendem sozialen Rückzug

- Einzelfallstudie -

 

 

- HAUSARBEIT -

 

 

 


Vorgelegt von: Susanne Mohr
                 Dipl. Sozialarbeiterin (FH)

Vorgelegt am:  15.08.2005

Vorgelegt bei:  Prof. Dr. E. Olbrich;
                 I.  Stephan







INHALTSVERZEICHNIS

I.  VORWORT

II.
EINLEITUNG
                       
III.DER SCHLAGANFALL 
     1. Definition
     2. Risikofaktoren
     3. Mögliche Krankheitsbilder
         3.1. Hemiparese/Hemiplegie
         3.2. Aphasie
         3.3. Reaktive Depression
         3.4. Sonstige

IV. ARBEITSHYPOTHESE 
     1. Erklärungsansätze 
     2. Ethik

V.  EINZELFALLSTUDIE
     1. Zur Person
     2. Anamnese
     3. Problembeschreibung
     4. Hundebesuch
         4.1. Beschreibung des Hundes
         4.2. Phase der Kontaktaufnahme
         4.3. Verlauf der
                Hund-Mensch-Beziehung
     5. Beobachtete Ergebnisse
         5.1. Vermehrte Aktivitäten
               außerhalb des häuslichen
               Umfeldes
                5.1.1. Aktivitäten ohne Hund
                5.1.2. Aktivitäten mit Hund

VI. ZUSAMMENFASSUNG

VII.DISKUSSION              

VIII.LITERATURVERZEICHNIS
 
 

I. VORWORT

Die vorliegende Arbeit ist das Ergebnis von jahrelangen Beobachtungen einer Schlaganfall-Betroffenen und der damit einhergehenden Frage, was dazu führt, dass eine ehemals kontaktfreudige und unternehmungslustige Frau sich immer weiter in ihr häusliches Umfeld zurückzieht. Dieser Gedankengang ist unweigerlich damit verbunden, zu ergründen wieso im Rahmen von stationären und ambulanten Therapien zwar offensichtliche körperliche und geistige Beeinträchtigungen behandelt werden, die psychosozialen Folgeerscheinungen aber hierbei wenig Beachtung finden.

Durch einen persönlichen Bezug zur Betroffenen und die beobachteten „Auswirkungen“ meines Hundes im Hinblick auf ihre sozialen Kontakte wurde ich veranlasst, mich zunächst durch Gespräche mit anderen Betroffenen und deren Angehörigen mit der Thematik näher auseinanderzusetzen und entschloss mich schließlich, meine Kenntnisse im Wege dieser Hausarbeit zu erweitern.

Ich möchte mich ausdrücklich bei Frau C. bedanken für die Erlaubnis, ihren Fall hier darzustellen und natürlich ganz besonders bei meinem Hund Miró, der durch seine offene und liebenswerte Art sozusagen eigenständig „therapeutisch gearbeitet“ hat und dadurch dieses Fallbeispiel erst ermöglichte.

II. EINLEITUNG

Nach Angaben der Stiftung Deutsche Schlaganfallhilfe gibt es jährlich bis zu 200.000 neue Schlaganfälle in Deutschland[1]. Sowohl die Betroffenen selbst als auch ihre Angehörigen müssen aufgrund der Auswirkungen dieser Erkrankung ihr Leben umstellen. Durch meist schwerwiegende Hirnschädigungen kommt es zu erheblichen körperlichen und geistigen Einschränkungen, die dann auch zu psychosozialen Einschränkungen führen. Das Aufrechterhalten und Knüpfen sozialer Beziehungen außerhalb der Familie und des engsten Freundeskreises ist wegen der Schwere und Komplexität der Krankheit für die Betroffenen kaum noch möglich bzw. erwünscht. Die Folge davon ist häufig ein sozialer Rückzug.

Vor dem Hintergrund meiner berufsbegleitenden Weiterbildung „Tiergestützte Pädagogik/Tiergestützte Therapie“ am Institut für soziales Lernen mit Tieren wurden mir Auswirkungen meines Hundes auf die Befindlichkeit und das Verhalten von Frau C. bewusst und ich begann meine zunächst eher zufälligen Beobachtungen zu konkretisieren bezüglich der einzelnen Krankheitsbilder des Schlaganfalls. Ich konnte eine Verbesserung in unterschiedlichen Bereichen feststellen. Neben den positiven Einflüssen auf die körperlichen Einschränkungen fielen mir auch Veränderungen hinsichtlich ihrer sozialen Kontakte auf.

Anhand meiner Beobachtungen wurde bei näherer Betrachtung des Krankheitsbildes ersichtlich, dass sowohl die Betroffene selbst als auch die Familienangehörigen ihre Antriebslosigkeit auf die physischen Einschränkungen und die damit einhergehenden Anstrengungen zurückführen. Die reaktive Depression, die sich nach dem Schlaganfall entwickelt hat und neben den sonstigen Erkrankungen mit ursächlich für den sozialen Rückzug von Frau C. ist, wurde nicht realisiert bzw. verdrängt und daher auch nicht psychotherapeutisch behandelt.

Bei meinen Recherchen bin ich auf einige Arbeiten gestoßen, die sich mit dem zielgerichteten Einsatz von Tieren in der Physiotherapie und Psychotherapie beschäftigen und durch die ich wesentliche Informationen über die Behandlungsmöglichkeiten unterschiedlicher Störungen und Krankheiten erhalten habe. Jedoch festigte sich bei mir der Eindruck, dass die Fragestellung, ob und wie ein Hund sich positiv auf den sozialen Rückzug von Schlaganfall-Betroffenen unter Berücksichtigung der multiplen Einschränkungen und ihrem Zusammenspiel auswirken kann, bisher kaum bzw. nicht untersucht wurde.

Aus diesem Grund möchte ich den Schwerpunkt dieser Arbeit an der vorgenannten Problemstellung ausrichten und weniger zu den Möglichkeiten der tiergestützten Therapie bei Einzelerkrankungen (z. B. Depressionen, körperliche Behinderungen) und der Sekundärpravention des Schlaganfalls Stellung nehmen.

III. DER SCHLAGANFALL

Der Schlaganfall, unter anderem auch Apoplexie, Hirnschlag oder cerebraler Gefäßinsult genannt, führt lt. Angaben der MEOCLINIC Berlin bei ca. 30% der Patienten zum Tod. Nur etwa 50% erlangen Teile oder die komplette Funktion der ursprünglichen Leistungsfähigkeit zurück[2]. Die Heilungserfolge sind abhängig von der Schwere des Apoplexes, dem jeweils betroffenen Bereich des Gehirns sowie dem Allgemeinzustand der Betroffenen vor dem Schlaganfall und während der Rehabilitationsphase. Wesentlichster Faktor bei der Behandlung ist das frühzeitige Erkennen und die Einleitung von akutversorgenden Maßnahmen, die stationär günstigstenfalls innerhalb von 3 Stunden eingeleitet werden müssen. Im Anschluss an die klinische Versorgung auf der Schlaganfall-Station (Stroke Unit) ist zur maximalen Wiederherstellung der beeinträchtigten Bereiche die Einleitung umfassender Rehabilitationsmaßnahmen erforderlich, die je nach Krankheitsbild mittels unterschiedlicher Therapien durchgeführt werden. Bereits hier bietet sich bei einzelnen dieser Therapieansätze der Einsatz von Tieren als motivationale Unterstützung an, auf die ich bei der Beschreibung der einzelnen Krankheitsbilder noch eingehen werde. Ich möchte an diesem Punkt ausdrücklich auf die Arbeit von Stefanie BÖTTGER verweisen, die Kaninchen und eigene Haustiere der Patienten in der neurologischen Frührehabilitation einsetzt und entsprechend ihren Dokumentationen im Vergleich zur Durchführung der Therapien ohne Tiere erstaunliche Erfolge zu verzeichnen hat.[3]

 1. Definition

Der Schlaganfall ist die Folge einer Durchblutungsstörung im Gehirn mit einhergehender Minderversorgung der Nervenzellen mit Sauerstoff, so dass – je nach Dauer der Sauerstoffunterbrechung - die betroffenen Zellen dadurch vollständig zerstört werden können. Hierbei kommt es zu einem Verlust neurologischer Funktionen, die im Optimalfall durch andere Hirnareale übernommen werden können. Die Mangelversorgung kann durch zwei verschiedene Auslöser hervorgerufen werden. Beiden Varianten geht fast immer eine Arteriosklerose voraus, die entweder durch Plaque-Ablagerungen Blutgefäße verengt und undurchlässig macht oder sie porös und instabil werden lässt. Mit 85% stellt die sog. ischämische Nekrose (Hirninfarkt) die häufigste Erscheinungsform dar. Hierbei handelt sich um einen Arterienverschluss, der durch einen Thrombus (Blutpfropf) verursacht wird. Die zweite Erscheinungsform ist das Entstehen einer Massenblutung im Gehirn, die zu einer Gefäßruptur führt und der meist ein längerfristiger Bluthochdruck vorausgeht.[4]

Ein Schlaganfall macht sich an nachfolgenden Symptomen bemerkbar und sollte dann durch weitere Abklärungsmethoden wie EKG, Computertomographie, Karotis-Duplex (Messung der Blutstroms in den Halsgefäßen), EEG u. a. endgültig diagnostiziert werden:

-          Lähmungen und Gefühllosigkeit
(hängendes Augenlid/hängender Mundwinkel)

-          Seh- und Sprachstörungen

-          Kopfschmerzen

-          Desorientierung und Schwindel

-          Bewusstseinsstörungen

-          Harn- u. Stuhlinkontinenz

-          Gefühl der Enge mit klaustrophobischen Zügen

Bei Feststellen dieser Symptome ist SOFORT der Notarzt mit dem Hinweis auf einen Schlaganfall zu verständigen und Erste Hilfe zu leisten. Der/die Betroffene darf auf keinen Fall unbeaufsichtigt bleiben und muss beruhigt werden.[5]

2. Risikofaktoren

Gerade beim Schlaganfall ist die Gefahr einer erneuten Erkrankung extrem hoch (ca. 50% der Betroffenen erleiden einen weiteren, meist schwereren Apoplex[6]), weshalb die gezielte Prävention und Minimierung der Risikofaktoren im Rahmen einer Sekundärprophylaxe in die Behandlung miteinbezogen werden müssen. Der Schlaganfall wird zum einen bedingt durch eigenständige Vorerkrankungen, zum anderen aber auch durch Faktoren, die mit dem individuellen Lebenswandel zusammenhängen:

-          Arteriosklerose (Arterienverkalkung)

-          Hypertonie (Bluthochdruck)

-          Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit mit Insulin-Mangel)

-          Herzrhythmusstörungen

-          periphäre Gefäßerkrankung

-          hohe Cholesterinwerte (Blutfette)

-          erhöhtes Homozystein (schwefelhaltige Aminosäure)

-          Nierenerkrankungen

-          Rauchen

-          übermäßiger Alkoholkonsum

-          Stress

-          Bewegungsmangel

-          Übergewicht

Einige dieser Risikofaktoren, die sich auch gegenseitig bedingen (z. B. Bluthochdruck und Stress; Bewegungsmangel und Übergewicht), können durch den regelmäßigen Umgang mit Haustieren verringert werden. So kann bei artgerechter Haltung eines Pferdes oder eines Hundes, die selbst regelmäßig bewegt werden müssen, beim Menschen kaum Bewegungsmangel auftreten. Ausreichende Bewegung wiederum regt den Stoffwechsel an und dient der Gewichtsreduktion. Das Zusammensein mit Tieren, insbesondere wenn dieses in der Natur stattfindet (Förderung des Wohlbefindens durch Licht, Sonne, Ruhe usw.) baut Stress ab und kann so den Bluthochdruck regulieren[7]. Im übrigen müssen die relevanten (Vor-)Erkrankungen regelmäßig kontrolliert und medikamentös eingestellt und behandelt werden.

 3. Mögliche Krankheitsbilder

Die Folgen des Apoplexes und die daraus entstehenden Krankheitsbilder hängen in erster Linie von der Größe und dem Bereich der Hirnschädigung ab. Die neurologischen Funktionsstörungen haben oft eine Mehrfachbehinderung körperlicher, geistiger und emotionaler Art zur Folge, die den Betroffenen nach dem Klinikaufenthalt eine Rückkehr in ihr altes Umfeld besonders erschwert. Ich möchte nun diejenigen Symptome etwas ausführlicher beschreiben, die vorrangig als ursächlich für die Einschränkung sozialer Kontakte und den Rückzug in den häuslichen, familiären Bereich anzusehen sind:

3.1. Hemiparese (Halbseitenschwäche)/
      Hemiplegie (Halbseitenlähmung)

Die Halbseitenlähmung tritt meist rechtsseitig in Verbindung mit einer Hemihypästhesie (herabgesetzte Empfindlichkeit) auf und betrifft vorwiegend die Gliedmaßen, aber auch das Gesicht. Die Nutzung der gelähmten Seite muss durch eine Übertragung der Aufgaben auf andere Hirnbereiche oft vollkommen neu erlernt werden, so dass die Betroffenen direkt nach dem erlittenen Schlaganfall nahezu hilflos sind. Selbst eine Fortbewegung im Rollstuhl ist zunächst nicht möglich, weil hierzu der Gebrauch der Hand und des Armes erforderlich ist. Diese Einschränkung wirkt sich auf alle Bereiche des täglichen Lebens aus wie Toilettengang, Körperpflege, Nahrungsaufnahme usw. Zudem treten dadurch bei der Fortbewegung Gleichgewichtsstörungen auf, die auch später den Aktionsradius der Apoplektiker/-innen nicht unwesentlich begrenzen.
 

Die Halbseitenlähmung wird physiotherapeutisch (Ergo-Therapie, Krankengymnastik, Balneo-Therapie, Massagen) behandelt. Hierbei werden zunächst schnell Erfolge erzielt, die dann jedoch mit Erreichen des maximal Möglichen stagnieren. Mit Erkennen des Stillstandes erleben die Betroffenen oft erhebliche Frustrationen und die Motivation zur Weiterarbeit, vorwiegend um Rückschritte zu vermeiden, geht entsprechend stark zurück. Gerade in diesem Arbeitsfeld ist der methodische, zielgerichtete Einsatz tiergestützter Therapie sehr hilfreich und erfolgsträchtig (Motivation, Senso-Motorik, Körperkoordination etc.).

3.2. Aphasie
Bei der Aphasie handelt es sich um eine durch Krankheit oder Hirnverletzung entstandene Sprachstörung bei erhaltener Funktion der zum Sprechen benötigten Muskulatur[8]. Die häufigste Ursache für das Auftreten einer Aphasie sind Schlaganfälle. Art und Ausprägung der Aphasie unterscheiden sich im Einzelfall, es werden jedoch nach POECK (1987) vier klassische Aphasiesyndrome unterschieden[9]:

-          Globale Aphasie

Betroffenheit aller sprachlicher Modalitäten
(Sprachproduktion und Sprachverständnis: Sprechen, Verstehen, Lesen, Schreiben)
ÞVermeidung spontaner Kommunikation

      -        Broca-Aphasie

         Geringe Störung des Sprachverständnisses;
         verlangsamtes Sprechen in grammatikalisch
         unvollständigen Sätzen mit
         Lautverwechslungen

-         Wernicke-Aphasie

Erhebliche Störung des Sprachverständnisses; Wortverdrehungen und Wortverwechslungen mit stark gestörtem Satzbau ohne Störungsbewusstsein mit starkem Rededrang 

-          Amnestische Aphasie

Gutes Sprachverständnis; Wortfindungsstörungen bei gut erhaltenem Satzbau; Gebrauch von Redefloskeln und Ersatzstrategien
ÞGute Kommunikationsmöglichkeiten[10]

Eine eindeutige Zuordnung ist jedoch nicht immer möglich, da oft Abweichungen von den klassifizierten Symptomen vorliegen. Deshalb ist eine Prüfung sämtlicher sprachlicher Modalitäten und eine individuelle Therapieplanung erforderlich. Nach MEZGER sollte sich die Therapie zunächst mit sprachlicher Stimulierung, dann mit der Aufarbeitung sprachsystematischer Defizite und letztendlich mit dem optimalen Einsatz der erworbenen sprachlichen Fähigkeiten schwerpunktmäßig beschäftigen. Als Behandlungsziel der logopädischen Therapie formuliert er „die Erlangung bestmöglicher kommunikativer Fähigkeiten zur Bewältigung alltäglicher Situationen und individueller Bedürfnisse“[11].
 

Die sprachliche Umsetzung von Gedanken im Rahmen einer digitalen Kommunikation ist für Aphasiker/-innen anstrengend und erfordert gezielte Konzentration, weshalb dies am besten in ausgeruhtem Zustand und einer ruhigen Umgebung gelingt. Sobald die Betroffenen unter Druck stehen, verstärken sich die Sprachstörungen. In hektischen und überraschenden Situationen sowie gegenüber weniger vertrauten Gesprächspartnern kommt es dadurch zu erheblichen Kommunikationseinschränkungen und daraus resultierend oftmals zu einer Einschränkung sozialer Kontakte außerhalb des familiären Umfeldes. Erschwerend kommt zu dem eingeschränkten sprachlichen Ausdruck hinzu, dass im Rahmen einer aphasischen Störung die Betroffenen meist nicht mehr in der Lage sind, Bücher und Zeitungen zu lesen und komplexere Radio- und Fernsehsendungen zu verstehen. Die Gesamtheit der Symptome führt oft zu psychischen Veränderungen mit der Entstehung einer reaktiven Depression.

Wie anhand der nachfolgenden Einfallstudie beschrieben, kann hier die Anwesenheit eines Tieres, das zum einen Ruhe, Sicherheit und Vertrautheit vermittelt, zum anderen auch die Aufmerksamkeit von Dritten gegenüber dem Aphasiker/der Aphasikerin ablenkt und dadurch Zeit zur Orientierung bleibt, wesentliche Verbesserungen bewirken. Auch erleben die Betroffenen im Umgang mit dem Tier eine funktionierende Kommunikation auf nonverbaler Ebene und können dies als Erfolg ihrer eigenen Ausdrucksfähigkeit werten.
 

3.3. Reaktive Depression[12]

Eine Depression im Zusammenhang mit einem Schlaganfall kann in seltenen Fällen direkt durch die zerebralen Schädigungen auftreten. Mit dem plötzlichen Erleben von Abhängigkeit, dem Verlust bisheriger Beweglichkeit und Eigenständigkeit, der Einschränkung von Kommunikationsmöglichkeiten und einer Veränderung der sozialen Beziehungen, also einer umfassenden Veränderung der Lebensumstände insgesamt, entwickelt sich jedoch in vielen Fällen eine reaktive Depression. Durch die Komplexität der Folgeerkrankungen des Schlaganfalls, insbesondere durch die Kombination von Aphasie, Einschränkungen der geistigen Leistungsfähigkeit und Affektlabilität wird die Depression von den Betroffenen selbst und auch deren Angehörigen nur selten als solche erkannt. Die Symptome der Depression werden nicht in ihrer Gesamtheit als eigenständige Erkrankung realisiert und entsprechend behandelt, sondern einem der bereits genannten Krankheitsbilder zugeordnet. Symptome einer Depression können sein:
 

-          Psychosomatische Störungen (Magen-Darm-Trakt, Kopf- u. Gliederschmerzen u. a.)

-          Antriebsminderung

-          Freud- u. Lustlosigkeit

-          Konzentrationsstörungen

-          Vermindertes Selbstwertgefühl

-          Inappetenz

-          Unruhe

-          Pessimismus

-          Schlaf- und Appetitstörungen

-          Morgentiefs und Tageschwankungen

-          Entwicklung von Schuldgefühlen

-          Suizidgedanken bzw. –handlungen                   ...

Die Behandlung einer reaktiven Depression als Folge eines Schlaganfalls kann unter Verabreichung entsprechender Medikamente (z. B. Antidepressiva) erfolgen, was jedoch aufgrund der Vielzahl der sonstigen Medikamentengabe und der Gefahr von Wechselwirkungen zumindest bedenklich erscheint. Eine psychotherapeutische Aufarbeitung auf verbaler Ebene ist je nach Art und Schwere der aphasischen Störung nicht möglich, insbesondere auch in Bezug auf das Verstehen der Therapieinhalte.
 

Nach ELHARDTs tiefenpsychologischer Betrachtungsweise zeichnet sich die Phänomenologie depressiver Menschen aus durch „hilflose Entmutigung und Abhängigkeit, Rückzug von expansiven und prospektiven Aktivitäten, anklammernde Suche nach Geborgenheit im Du, Angst vor Alleingelassenwerden sowie Schuldgefühlsstimmung und tiefe Minderwertigkeitsgefühle“[13]. Hier möchte ich wieder kurz eine Brücke schlagen zur tiergestützten Therapie und zu OTTERSTEDT nach BUBER, der das Menschwerden in Abhängigkeit von der Aktualität einer erlebbaren Beziehung des Ich zum Du sieht. Die reine Begegnung des Ich mit einem Es (Objekt) entwickelt sich durch das Wesen des Tieres zu einer Beziehung mit dem Du. [14] Die einfache nonverbale Kommunikation mit dem Tier lässt eine Bindung entstehen, die das Ich bestätigt, weil es vom Du angenommen wird, so dass Zweifel und Ängste weichen und dadurch Platz entsteht für eine positive Selbstwahrnehmung. Da es in dieser Arbeit jedoch nicht vorrangig um die Behandlungsmöglichkeiten von Depressionen im Rahmen der tiergestützten Psychotherapie geht, sondern die Depression mit ihren Begleiterscheinungen „nur“ Teil eines Ganzen und im Zusammenhang mit den bereits genannten Erkrankungen zu sehen ist, möchte ich auf die Beiträge von SCHEIDHACKER hinweisen, die Pferde als Co-Therapeuten in der Psychotherapie erfolgreich einsetzt.[15]

3.4. Sonstige

Weitere mögliche Einschränkungen, die im Rahmen eines Apoplexes auftreten können und mit zur Veränderung der Gesamtpersönlichkeit der Betroffenen beitragen, möchte ich nur kurz aufführen:

-          Angstzustände

(Angst um die eigene Gesundheit, kurz nach dem Ereignis Angst vorm Schlafen in geschlossenen Räumen, Angst vor Dunkelheit, Angst vor unkontrollierbaren Situationen, ...)

-          Affektbetontes Handeln mit egozentrischen Zügen und Katastrophenreaktionen

(eigene Bedürfnisse stehen im Vordergrund, Emotionen werden kaum kontrolliert, ...)

-          Einschränkungen der geistigen Leistungsfähigkeit

(Merkfähigkeit, Zahlenverständnis, ...)

-          Stuhl- und Harninkontinenz

-          Weiterbestehen der ursächlichen Vorerkrankungen

Abschließend zu diesem Kapitel möchte ich nochmals betonen, dass m. E. der Gesamtkomplex der Erkrankung beinahe zwangsläufig zu einem sozialen Rückzug der Apoplektiker/-innen führen muss. Auch die Behandlung der einzelnen Erkrankungen kann die Hilflosigkeit und das Wissen um die Abhängigkeit in multiplen Lebensbereichen von einer oder mehreren Bezugspersonen und damit einhergehend die Entwicklung eines sehr geringes Selbstwertgefühls und Selbstbewusstseins nicht therapieren. Hier ist der Einsatz einer interdisziplinär wirkenden Methode gefragt, die einer weiteren Isolation entgegenwirkt.

IV. ARBEITSHYPOTHESE 

Der Einsatz eines Hundes führt bei Menschen, die einen Schlaganfall erlitten haben mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Verringerung psychosozialer Folgeerscheinungen und wirkt einem weiteren sozialen Rückzug durch Erweiterung des individuellen Aktionsradius entgegen?!

1. Erklärungsansätze:

„Lieber Gott, ich habe nicht gewusst, daß es jenseits der Grenze der Gesundheit einen breiten Graben gibt: den Graben des Unverständnisses einerseits und den Graben der totalen Verlassenheit andererseits. Es gibt keine Brücke über diesen Graben. Freundliche Worte kommen nicht an, ja, wirken wie Hohn. Klagen von der anderen Seite kommen auch nicht an, sie werden missverstanden ...“[16]

Dieses Zitat einer Apoplektikerin beschreibt sehr deutlich die Problematik, das psychische Leid der Betroffenen mittels herkömmlicher Therapien (z. B. Verhaltens- und Gesprächstherapien, Soziotherapien usw.) erfassen und somit auch bearbeiten zu können. Vor dem Hintergrund einer Aphasie sind gerade die Therapieformen besonders problematisch, die vorwiegend auf verbal kommunikativer Ebene stattfinden, da die Ausdrucksmöglichkeiten der Betroffenen – je nach individueller Ausprägung des Krankheitsbildes – mehr oder weniger stark eingeschränkt sind und dadurch erneut Druck aufgebaut werden kann, der dann zu einer weiteren Verringerung des Selbstwertgefühls und zu zusätzlicher Frustration führt.

Nun könnte man natürlich argumentieren, dass in diesem Fall z. B. auch der Einsatz kunsttherapeutischer Aspekte, wie sie bei der Rehabilitation nach einem Schlaganfall häufig in der Ergotherapie zu finden sind, durchaus geeignet erscheinen, Depressionen und Ängste psychotherapeutisch zu behandeln und einem sozialen Rückzug entgegen zu wirken. Hier wird jedoch m. E. nicht ausreichend berücksichtigt, dass es für die Betroffenen einer sehr hohen Motivation bedarf, die mit dem Krankheitsbild Schlaganfall häufig einhergehende Antriebslosigkeit und Ängstlichkeit in Verbindung mit einer körperlichen Behinderung und der sprachlichen Barriere zu bewältigen und Kontakte mit anderen Menschen zu pflegen bzw. aufzunehmen sowie Aktivitäten außerhalb des gewohnten, häuslichen Umfeldes „zu riskieren“.

Worin begründet sich nun die Annahme, dass der Einsatz von Tieren die erforderliche Motivation hervorruft, den individuellen Aktionsradius zu erweitern? Wie „wirken“ Tiere?

Nachfolgend möchte ich mich auf einige von Prof. Dr. Olbrichs Ausführungen zur wissenschaftlichen Erklärung über die Wirksamkeit von Tieren in der Therapie und Pädagogik stützen und kurz erläutern, ohne dabei den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben:[17]

Nach WATZLAWICK haben Menschen die Möglichkeit, sich der digitalen und/oder der analogen Kommunikation zu bedienen. Die digitale (verbale) Kommunikation ist abstrakt und dient der Informations- und Wissensvermittlung, die analoge Kommunikationsform hingegen ist nicht abstrakt und dient als Sprache der Beziehungen, sie ist direkter und drückt Gefühle aus.[18] Dieser Kommunikationsform bedienen sich die Tiere und sprechen dadurch unbewusst archetypische Elemente (JUNG) im Menschen an, die im Laufe des Heranwachsens und Erwachsenwerdens immer weiter von kognitiven Prozessen überlagert werden. Eine Verknüpfung sowohl der bewussten als auch der unbewussten Elemente im Menschen trägt weiter zum ganzheitlichen Ansatz und damit auch zu einer Verfügbarkeit bzw. Erweiterung persönlicher, individueller Ressourcen bei.

Hier möchte ich mich auf OLBRICHs Schlussfolgerungen zu A. Schweitzers Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben beziehen:

„Das Zusammenleben mit Tieren, das Mitleben, Mitleiden und Mitfreuen mit diesen nicht urteilenden, diesen nicht reflektierenden, geschweige denn nach Maßgabe von Re-Flexionen beurteilenden Lebewesen lässt mich ganz einfach und doch ganz umfassend so sein, wie ich sein kann, es erlaubt mir zudem, ein Stück weit ganzer Mensch zu werden.“[19]

Durch dieses Zitat wird deutlich, dass Tiere – im Gegensatz zum Menschen - nicht in der Lage sind, andere Lebewesen auseinander zu dividieren in gute und schlechte , gesunde und nicht gesunde, abnorme und normale Anteile, sondern dass sie ihr Gegenüber jeweils ganzheitlich wahrnehmen und akzeptieren – so wie sie es nach unserem Kenntnisstand auch mit sich selbst tun. Sie nehmen weder positiv noch negativ, weder bewusst noch unbewusst Bezug auf mögliche Behinderungen und Einschränkungen und bewirken dadurch, dass diese auch für die Betroffenen selbst in den Hintergrund treten können und somit mehr Raum und Kraft für das eigentliche Leben entsteht.

Tiere sind ehrlich, sie haben nicht die Option, sich zu verstellen. Dadurch erhält der Mensch, der mit ihnen umgeht, zwangsläufig eine Garantie zur Reflexion seines eigenen Verhaltens in Anwesenheit des Tieres (Spiegelfunktion). Menschen können Kritik in Form einer Reaktion auf eigenes Verhalten von einem wertfreien und nicht an geltenden gesellschaftlichen Normen orientierten Lebewesen erkennen und annehmen, ohne dabei Frustration aufzubauen. Es wird klar, dass ein Tier nicht diesen Menschen ablehnt, sondern eben auf gezeigtes Verhalten wie hektische Bewegungen oder eine zu laute Stimme reagiert. Umgekehrt ist es auch nicht möglich, sich dem Tier gegenüber zu verstellen, da dieses immer auf den tatsächlichen emotionalen Zustand des Menschen reagiert und dadurch die Basis für eine offene, ehrliche Beziehung schafft. Authentizität nach ROGERS ist eine gegebene Eigenschaft der Tiere, die immer eins mit sich selbst sind (im Bewussten und auch im Unbewussten) und den Menschen in ihrer ganzen Echtheit im Sinne von Empathie genau an dem Punkt abholen, an dem dieser sich gerade befindet. Diese Erfahrung, ganzheitlich mit allen Schwächen und Stärken angenommen zu werden, führt zur Bildung von Vertrauen sich selbst, aber auch anderen gegenüber und überträgt sich so auf andere Lebensbereiche.[20]

In diesen Prozess, (z. B. authentisches) Verhalten von Tieren zu übernehmen, spielen lerntheoretische Modelle mit hinein. Nach BANDURAS (1976) sozial-kognitiver Lerntheorie, dem “Lernen am Modell“, ist „der Erwerb neuer Verhaltensweisen und die Modifizierung der Charakteristika eine Funktion der Beobachtung des Verhaltens anderer Individuen und der entsprechenden verstärkenden Konsequenzen, ohne dass der Beobachter das Verhalten des Modells während dieser Vorgänge selbst ausführt“.[21]

Das erworbene Verhalten wird also nach SKINNER (1938) im Sinne einer operanten oder instrumentellen Konditionierung durch positive Konsequenzen psychischer oder materieller Art verstärkt (z. B. Anstupsen mit der Hundeschnauze oder Zuwendung) und in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit häufiger auftreten. Dies kann natürlich auch durch negative Verstärker, d. h. das Wegbleiben oder Aufheben einer unangenehmen Situation, erfolgen.[22] Auch die systematische Desensibilisierung spielt in der tiergestützten Arbeit eine wichtige Rolle. Durch das Erlernen einer neuen Verknüpfung von Signalen und Reaktionen sollen Ängste abgebaut werden. Dies ist zum einen relevant bei Ängsten gegenüber dem Tier selbst, zum anderen auch bei der Abwendung von Ängsten durch Unterstützung des Tieres.

Ein weiterer Erklärungsansatz findet sich in der Biophiliehypothese nach WILSON u. KELLERT, die eine tief verankerte, evolutionär bedingte Verbundenheit des Menschen zu seinem natürlichen Umfeld beschreibt und auch begründet ist in einer früheren direkten Abhängigkeit der Menschen von der Natur (z. B. bei der Nahrungssuche). Dies impliziert eine unbewusste Affinität des Menschen zum Tier, die m. E. vermutlich verstärkt wird durch anthropozentrische Denkweisen im Hinblick auf unterschiedliche Tierarten. D. h. der Mensch, der die eigene Gattung als Optimum des Lebens sieht, wird sich mehr hingezogen fühlen zu Arten, die seiner eigenen Lebensweise am ehesten entsprechen (Bsp.: Hund – Säugetier, Rudeltier, Fleischfresser, ...).

Zum Ende dieser Ausführungen möchte ich – ebenfalls in Anlehnung an OLBRICH – noch die „Schichtenlehre der Person“ nach ROTHACKER (1938) anführen. Er unterscheidet eine „Ich-Schicht“ (Bewusstsein), eine „Personschicht“ (Charakter), eine „Tiefenperson“ (emotionale Prozesse) und eine „Vitalschicht“ (Leibseele). Bei diesem Modell sind die höheren Schichten auf die niedrigeren angewiesen, die niedrigen Schichten können jedoch auch eigenständig ablaufen. Der Umgang mit Tieren ist den emotionalen Prozessen und damit der Tiefenperson zuzuordnen, was für die tiergestützte Arbeit bedeutet, dass Tiere auch dann und ganz besonders dann wirken, wenn Störungen der Ich-Schicht vorliegen z. B. im Rahmen geistiger Einschränkungen. Ein weiterer wichtiger Ansatz dieses Modells ist die Annahme, dass zwischen diesen Schichten eine ganzheitliche, abgestimmte Kommunikation abläuft, die in Abhängigkeit zur Stimmigkeit zwischen der Person und ihrer Umgebung steht[23]. Wenn es also gelingt, durch den Einsatz von Tieren die Kommunikationsfähigkeit eines Menschen mit der Umwelt zu fördern, fördert dies gleichzeitig das Wohlbefinden des Menschen, weil er in sich selbst ein Ganzes wird.

Letztendlich sagen alle diese Theorien in ihrer Quintessenz aus, dass in uns allen eine bewusste oder unbewusste Verbundenheit mit anderem Leben, insbesondere den Tieren, verankert ist, die durch ihre Aktivierung zur Identitätsfindung und Ganzheitlichkeit beitragen, unser Wohlbefinden steigern und dadurch das Aufarbeiten von körperlichen, geistigen, emotionalen und sozialen Einschränkungen erleichtern.

Hierzu möchte ich noch anmerken, dass sich in diesem Zusammenhang bei mir immer wieder ein wenig kritisch die Frage aufwirft, wie es demzufolge überhaupt möglich ist, dass Menschen Tiere quälen, misshandeln, missachten und ausnutzen oder einfach „nur“ nicht artgerecht halten. Die Antwort hierfür ist vermutlich in der jeweiligen Biografie dieser Menschen zu finden und lässt den Schluss zu, dass im Sinne des Tierschutzes genau geprüft werden muss, was Ausschlusskriterien für die tiergestützte Arbeit sind und bei wem unter welchen Rahmenbedingungen und zu welchem Zeitpunkt der Kontakt zu einem Tier hergestellt werden kann bzw. welche Vorarbeit (z. B. Aufklärung, Desensibilisierung) erforderlich ist.

2. Ethik

„Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.“

Albert SCHWEITZERs zentrale Aussage in seiner „Lehre der Ehrfurcht vor dem Leben“ bewegt sich bereits Anfang des 20. Jahrhunderts (1914 – 1917) weg vom anthropozentrischen Denken hin zu einer biozentrischen Weltanschauung. Er ordnet damit den Menschen ein und stellt ihn auf die gleiche Ebene mit dem übrigen Leben, er unterscheidet nicht zwischen wertvollerem und weniger wertvollem Leben und spricht dem Menschen die Fähigkeit ab, zu beurteilen, welchen Wert andere Lebewesen für das Weltgeschehen haben. Die Vernichtung oder Schädigung von Leben darf nur aus dringender Notwendigkeit erfolgen.[24] Bezüglich der Notwendigkeit über das Töten von Tieren zur Nahrungsgewinnung (Schweitzer selbst war Vegetarier) übergibt er die ethische Verantwortung an den einzelnen Menschen, verweist aber gleichzeitig darauf, dass dieses Töten fachgerecht ohne Qual und in Traurigkeit erfolgen soll. Auch warnt er davor, die Augen zu verschließen und Leid dadurch als nicht geschehen anzusehen. Wenn wir diese Auffassung nachvollziehen können, haben wir bereits die Voraussetzungen für eine gesunde Mensch-Tier-Beziehung geschaffen, von der wir dann umfassend profitieren können, z. B. in der gemeinsamen Arbeit.

Gehen wir Menschen davon aus, dass unsere Arbeit dann am effektivsten ist, wenn wir unter optimalen Bedingungen arbeiten, wie körperlicher und seelischer Gesundheit, Harmonie mit unseren Kolleginnen und Kollegen, in heller und freundlich gestalteter Umgebung, also in Zufriedenheit und ohne Zwang, so trifft dies auch auf unsere Mitgeschöpfe, die Tiere zu. Daher ist eine Grundvoraussetzung für die Arbeit mit Tieren deren artgerechte Haltung unter Befriedigung ihrer artspezifischen und individuellen Bedürfnisse, die weit über tierschutzrechtliche Gesetze, Bestimmungen und Verordnungen hinausgehen. Nach KLEIST „wird ein artgerechter Umgang am besten erreicht durch die Kenntnisnahme der spezifischen Ansprüche und Lebensäußerungen der jeweiligen Wildform einer Tierart und deren praktische Umsetzung bei der Haltung der Haustierform“.[25] 

Auch möchte ich nochmals das Prinzip der freien Begegnung nach OTTERSTEDT betonen[26], in der dem Tier die Möglichkeit gegeben wird, ein breites Verhaltensspektrum zu entwickeln und zu zeigen, Kontakt zum Menschen aufzunehmen und eine Bindung zu diesem aufzubauen, aber auch Rückzugsmöglichkeiten wahrnehmen zu können. Der Grundgedanke in der tiergestützten Arbeit sollte also keinesfalls die Frage sein, was dem Tier zumutbar ist, sondern was der Neigung des Tieres nahe kommt und diesem Freude bereitet. Selbstverständlich kann die spätere Arbeit im Rahmen der Sozialisation und Ausbildung der Tiere berücksichtigt werden, sollte jedoch nicht im Vordergrund stehen. So muss bei der Anschaffung eines Tieres immer die Möglichkeit bedacht werden, dass es u. U. nicht für den geplanten Arbeitseinsatz geeignet ist (z. B. durch Krankheit) und ein Lebewesen nicht umgetauscht oder zurückgegeben werden kann.

Weil mir der Umgang mit den Tieren sowohl im Alltag als auch in diesem Berufsbild besonders wichtig ist und ich eine persönliche Affinität zu Hunden habe, möchte ich den nachfolgenden Text hier einfügen, der zwar auf den ersten Blick eher trivial erscheint, aber dennoch sehr viel über die Bindung eines Hundes zu seinem Halter/seiner Halterin aussagt:

Die zehn Gebote für Hundebesitzer

1. Mein Leben dauert wahrscheinlich zehn bis fünfzehn Jahre: Jede Trennung von Dir ist schmerzhaft für mich. Bedenke dies, bevor Du mich anschaffst.

2. Gib mir Zeit zu verstehen, was Du willst.
 
3. Setze Dein Vertrauen in mich. Bedenke dies, bevor Du mich anschaffst.

4.
Sei nicht lange böse auf mich und sperr mich nicht zur Strafe ein. Du hat Deine Freunde, Deine Arbeit und Deine Unterhaltung. Ich habe nur Dich.


5. Sprich mit mir. Auch wenn ich Deine Worte nicht verstehe. Ich verstehe Deine Stimme, wenn Du zu mir sprichst. Sei Dir bewusst, dass ich, wie auch immer Du mich behandelst, es niemals vergesse.


6. Bedenke, bevor Du mich schlägst, dass ich Zähne habe, die die Knochen Deiner Hand leicht zermalmen könnten, aber ich habe mich entschieden, Dich nicht zu beißen.

7. Bevor Du mich ausschimpfst, unkooperativ, ungehorsam oder faul zu sein, frage Dich, ob mich vielleicht etwas quält. Vielleicht habe ich nicht verstanden, was Du von mir willst oder vielleicht fühle ich mich nicht gut, habe nicht das richtige Futter bekommen, habe zu lange in der Sonne gelegen oder mein Herz wird alt und schwach.


8. Kümmere Dich um mich, wenn ich alt werde, auch Du wirst alt.


9. Begleite mich auf schweren Wegen. Sage niemals „Ich kann es nicht ertragen, das zu sehen“ oder „Lass es in meiner Abwesenheit geschehen“. Alles ist leichter, wenn Du da bist.


10. Bedenke, dass ich Dich liebe.


(Quelle unbekannt)
 

V. EINZELFALLSTUDIE

Diese Einzelfallstudie ist im Rahmen einer teilnehmenden Beobachtung entstanden, die jedoch zunächst nicht im Hinblick auf diese Arbeit erfolgte, sondern sich aufgrund eines persönlichen Bezuges entwickelt hat. Im Verlauf der Fortbildung am Institut für soziales Lernen mit Tieren wurden mir Wirksamkeit und Auswirkungen meines Hundes auf das Verhalten und die Befindlichkeit von Frau C. bewusst, so dass ich anfing, gezielte Beobachtungen bezüglich unserer Ausbildungsinhalte anzustellen. Diese wurden nun im Nachhinein strukturiert und aufgearbeitet als Beispiel für Interventionsmöglichkeiten zur Verringerung von psychosozialen Folgeerscheinungen eines Schlaganfalls herangezogen.
 

1. Zur Person (Frau C.)

Auslassung aus Datenschutzgründen

2. Anamnese

Die Betroffene litt ab etwa ihrem 30. Lebensjahr an Migräne mit ungeklärter Ursache. Im Alter von etwa 40 Jahren stellte sich dazu eine arterielle Hypertonie (Bluthochruck) ein, bedingt durch eine Nierenarterienstenose (Verengung der Nierenarterien), die operativ nicht behoben werden konnte. Frau C. wurde über den kompletten Zeitraum medikamentös behandelt und erlitt 2 kleinere Schlaganfälle, die ohne erkennbare Folgen blieben. Mangels hinreichender Informationen über ihre individuellen Risikofaktoren (Bluthochdruck, Übergewicht, Stress, hohe Cholesterinwerte) und nicht zuletzt auch wegen mangelnder Krankheitseinsicht erfolgte keine Lebensumstellung. Frau C. arbeitete weiter im Betrieb des Ehemannes und war Hausfrau und Mutter. Sie nahm am gesellschaftlichen Leben teil, hatte viele Freunde und Bekannte, verreiste gerne, war aktives Mitglied im Turnverein, fuhr oft mit dem Fahrrad und ging gerne ins Theater. Sie war Nichtraucherin und trank selten Alkohol.

Am 20.03.97, also mit 54 Jahren, erlitt sie den dritten Schlaganfall. Obwohl sie unmittelbar notversorgt und dann auf einer Stroke Unit weiter behandelt wurde, kam es durch den Sauerstoffverlust im Gehirn zu erheblichen Schädigungen:

-          Rechtsseitige Hemiparese und Hemihypästhesie (herabgesetzte Empfindlichkeit)

-          Aphasische Störung

-          Reaktive Depression mit Angststörungen, Unruhezuständen und Antriebsminderung

-          Einschränkung der geistigen Leistungsfähigkeit mit Konzentrationsstörungen

           (verringerte Merkfähigkeit, Probleme beim Verstehen logischer Zusammenhänge, ...)

-          Leichte Harninkontinenz

-          Affektinkontinenz/-labilität und Katastrophenreaktionen

-          Weiterhin liegt das Problem der Hypertonie und der Nierenarterienstenose vor

Grad der Behinderung:             80% schwerbehindert

Klinikaufenthalte/Behandlungen:

Frau C. wurde unmittelbar im Anschluss an die Krankenhausbehandlung, die vorwiegend medikamentös stattfand, in eine andere Klinik zur Früh-Rehabilitation verlegt. Zu diesem Zeitpunkt war sie nicht in der Lage, sich eigenständig mit dem Rollstuhl fortzubewegen, Nahrung aufzunehmen oder Körperpflege zu betreiben. Die sprachliche Verständigung beschränkte sie auf ein Minimum, da sie zu diesem Zeitpunkt realisierte, dass eine sprachliche Störung vorliegt, die nicht durch die Lähmung der rechten Körperhälfte, sondern neurologisch bedingt ist.

Insgesamt wurden folgende stationäre Rehabilitationsmaßnahmen durchgeführt:

o       Frührehabilitation
    (04.04.97 bis 07.05.97)


                Therapeutische Ziele/Erfolge:

-          Eigenständige Fortbewegung im Rollstuhl

-          Nahrungsaufnahme mit Hilfestellung

-          Sprachliche Verständigung

-          Medikamentöse Behandlung von:

-          Depression/Schlafstörungen

-          Bluthochdruck

-          Erhöhtem Cholesterinspiegel

o       Anschlussheilbehandlung
    (07.05.97 bis 02.07.97)

Therapeutische Ziele/Erfolge:

-          Fortbewegung ohne Rollstuhl/Gehhilfe

-          Körperkoordination

-          Eigenständige Nahrungsaufnahme mit Hilfsmitteln

-          Eigenständige Übernahme der Körperpflege

-          Verbesserung der sprachlichen Verständigung

-          Schreiben neu erlernen

-          Teilnahme an Veranstaltungen/Kontakte zu anderen Betroffenen

-          Beibehaltung der medikamentösen Behandlung

o   Rehabilitationsmaßnahme
      (18.05.98 bis 29.06.98)

Stabilisierung und Verbesserung der Anschlussheilbehandlung in der gleichen Klinik

 

o          Rehabilitationsmaßnahme
      (16.10.02 bis 12.11.02)

Stabilisierung und Verbesserung der Anschlussheilbehandlung in der gleichen Klinik, Schwerpunkte der stationären Behandlung waren laut vorliegenden Arztberichten:
  • medikamentöse Behandlung
  • Diätberatung zur Senkung des Cholesterinwertes
  • Krankengymnastische Einzel- u. Gruppentherapie zur Stabilisierung der Gangsicherheit
  • Logopädie zur Verbesserung der sprachlichen Leistungen
  • Balneotherapie (Bäderbehandlung) zur Verbesserung des Gleichgewichtssinnes
  • Massagen zur Behandlung der rechtsseitigen Empfindungsstörung (Hemihypästesie)
  • Ergotherapie mit funktionellem Training des rechten Armes und speziellem Hirnleistungstraining

Nach der Entlassung aus der Anschlussheilbehandlung im Juli 1997 waren erhebliche Therapieerfolge bezüglich der körperlichen Einschränkungen durch die Hemiparese, der aphasischen Störung und auch der Denk- und Merkfähigkeit erzielt worden. Frau C. konnte sich ohne Gehhilfe fortbewegen, ihre Körperpflege und die Nahrungsaufnahme selbständig übernehmen und nach einiger Zeit mit Hilfe einer Reinigungskraft die Hausarbeit wieder aufnehmen. Circa 3 Jahre nach dem Schlaganfall konnte sie sogar Fahrstunden nehmen und wieder Auto fahren.

Neben der medikamentösen Weiterbehandlung wurden folgende ambulante Therapien durchgeführt:

  • Logopädie zur Verbesserung der sprachlichen Leistungen und des Schreibens
             (Nach ca. 6 Monaten beendet,
        Übungen wurden für ca. 3 Monate
        eigenständig fortgesetzt)
       

  • Ergotherapie mit funktionellem Training des rechten Armes und speziellem Hirnleistungstraining
        (Nach ca. 1 Jahr beendet, wenig 
        eigenständiges Training)
  • Massagen zur Behandlung der rechtsseitigen Empfindungsstörung (Hemihypästesie)
        (finden immer noch statt)

  • Krankengymnastik in Einzeltherapie zur Verbesserung der Gangsicherheit
        (findet immer noch statt)

  • Gerätetraining zum Muskelaufbau und zur Verbesserung der Körperkoordination
        (findet immer noch statt, wird selbst finanziert)

  • Hippotherapie zur Verbesserung von Körperkoordination und Gleichgewichtssinn

(wurde mit Unterbrechungen bis letztes Jahr einmal wöchentlich durchgeführt und musste selbst finanziert werden)

Anm.: Die Hippotherapie wurde von einer Reitlehrerin und Physiotherapeutin mit Zusatzausbildung durchgeführt und war in ihrer Zielsetzung explizit als reine krankengymnastische Maßnahme definiert und auch sinnvoll. Die Pferde standen jeweils geputzt und gesattelt bereit, die Stunde wurde aus sicherheitstechnischen Gründen in der Halle gegeben. Durch die Konzeption dieser Maßnahme war ein emotionaler Beziehungsaufbau von Frau C. zu dem Pferd nicht vorgesehen und trat mangels Kontakten außerhalb der Stunde auch nicht ein. Psychotherapeutische Effekte in Bezug auf die Depression – abgesehen von den Erfolgserlebnissen im Hinblick auf bewegungstechnische Aspekte und die Überwindung von Ängsten - blieben daher weitgehend aus.[27]

3. Problembeschreibung

Durch die Schwere der körperlichen und neurologischen Schädigungen wurde der vorliegenden Depression mit Angststörungen und starker Antriebsminderung von ärztlicher Seite wenig Beachtung beigemessen, lediglich die Schlafstörungen wurden medikamentös behandelt und in unregelmäßigen Zeitabständen fanden während der stationären Rehabilitationsmaßnahmen Gespräche mit Psychologen der Klinik statt. Auch wurden die Angehörigen nicht über diese Problematik informiert, so dass diesbezüglich nach dem Klinikaufenthalt keine weitere psychotherapeutische Maßnahme eingeleitet wurde.

Während ihrer Klinikaufenthalte wurden Frau C. immer wieder ihre enormen Erfolge bewusst gemacht, die nicht zuletzt auf ihre aktive und motivierte Mitarbeit zurückzuführen sind. Mit dem Verlassen der Klinik und der Rückkehr in das alte Umfeld sah sich Frau C. nun mit der „gesunden Realität“ konfrontiert. Bei der Begegnung mit anderen Menschen und an deren Reaktionen bemerkte sie „schlagartig“ und erstmals bewusst, dass sie von jetzt an nicht mehr zur „gesunden Welt“ gehört. Durch das Erkennen der eigenen Behinderung und den gleichzeitigen Verlust der in der Klinik erworbenen Sicherheit konnte sie sich selbst nicht mehr als vollwertiges Mitglied unserer Leistungsgesellschaft ansehen, wodurch ihr Selbstwertgefühl einen erheblichen Schaden erlitt und der Nährboden für ihren sozialen Rückzug geschaffen wurde. 

Um ihre Unzulänglichkeiten zu überspielen, hat sich Frau C. angewöhnt, vor fremden Personen zu fassadieren. Ihr vorrangigstes Bedürfnis im Umgang mit Nicht-Familienmitgliedern - sogar bei engen Freunden der Familie – ist es, sich möglichst selbständig und „normal funktionierend“ darzustellen. Da dies für sie sowohl körperlich als auch geistig sehr anstrengend ist, gelingt ihr das am besten früh morgens, wenn sie ausgeruht ist. So haben sich ihre sozialen Kontakte stark minimiert. Sie nimmt diese meist nur im Beisein ihres Ehemannes oder ihrer Kinder wahr und oftmals nur nach ausdrücklicher, mehrmaliger Aufforderung.

Vor allem das Freizeitverhalten von Frau C. hat sich durch die Folgen des Schlaganfalles extrem verändert. Während sie früher gerne Bücher las und tagsüber nie das Fernsehgerät einschaltete, schaut sie sich nun täglich das (Nach-) Mittagsprogramm mit einfachen Sendeinhalten an, richtet sogar zeitweise die Abläufe ihrer Hausarbeit danach aus. Da sie frühere Tätigkeiten wie Büroarbeit, Bankgeschäfte, Korrespondenz usw. nicht mehr ausführen kann, richtet sie ihr Augenmerk hauptsächlich auf die Führung eines perfekten Haushalts. Sie legt Wert auf einen strukturierten, geplanten Tagesablauf ohne wesentliche Unregelmäßigkeiten. Überraschende Ereignisse, die die gerade ausgeführte Tätigkeit unterbrechen und unangekündigte Besuche, die nicht von einem Familienmitglied oder einem Mitglied des mittlerweile sehr kleinen engeren Freundeskreises sind, können aufgrund der Affektinkontinenz schnell zu extremer Überforderung und dann auch zu Katastrophenreaktionen wie Heulkrämpfen oder Wutausbrüchen führen. Obwohl Frau C. mittlerweile wieder Autofahren kann, finden nahezu keine Aktivitäten außerhalb des Hauses mehr statt.

Sie beschränkt ihre Außenaktivitäten vorwiegend auf Einkäufe in langjährig bekannten Geschäften oder unaufschiebbare Verpflichtungen (Arzt, Friedhof, Physiotherapie, ...). Dieses Verhalten wiederum verstärkt die Depression und die Antriebslosigkeit, was zu einem weiteren sozialen Rückzug von Frau C. in den häuslichen/familiären Bereich führt. Natürlich tragen dazu auch die körperlichen Einschränkungen beim Gehen und beim Gebrauch der rechten Hand bei. Es kommt schnell zu Ermüdungs- und Erschöpfungserscheinungen, die unweigerlich eine Verschlechterung der sprachlichen Leistung (Aphasie) und auch wieder eine Minimierung der zwischenmenschlichen verbalen Kommunikationsmöglichkeiten zur Folge haben.

Die Kombination der unterschiedlichen geistigen, körperlichen und psychischen Auswirkungen des Apoplexes stellt somit einen Teufelskreis dar, bei dem Frau C. den sozialen Rückzug als offensichtlich einfachste Lösung empfindet. Sicher trifft dies nicht bei allen Betroffenen zu, insbesondere unter Berücksichtung der individuellen Krankheitsbilder und deren Ausprägungsgrade. Ähnliches Verhalten wurde mir jedoch auch von Mitgliedern einer Schlaganfall-Selbsthilfegruppe und von Angehörigen von Betroffenen geschildert, deren Leben durch diese Veränderungen ebenfalls erhebliche Einschnitte und Einschränkungen erfahren haben.

4. Hundebesuch

Zum Zeitpunkt des Schlaganfalls lebte in der Familie eine 13-jährige kleine Mischlingshündin, die erhebliche Sozialisationsdefizite und daraus resultierend Verhaltensauffälligkeiten (z. B. Angstbeißen) aufzuweisen hatte. Aufgrund ihres Alters und ihrer Individualisierungstendenzen war sie eher zurückhaltend und forderte selten Kontakt oder Aktivitäten ein. Im Zusammenhang mit dieser Hündin waren keine therapeutischen Effekte bemerkbar, obwohl sie noch fast drei Jahre mit Frau C. im gleichen Haushalt lebte.

Während sich im Fall von Frau C. und Miró zufällig eine Passgenauigkeit vom Wesen des Hundes zum erwünschten Heilerfolg gezeigt hat, nämlich Aktivität (Hund) kontra Passivität (Frau C.), muss in der zielgerichteten psychotherapeutischen Arbeit (AAT = Animal Assisted Therapy) eine sorgfältige Auswahl des geeigneten Tieres nach Art, Rasse und individuellen Charaktereigenschaften/Bedürfnissen vorgenommen werden. Nach OTTERSTEDT bestimmen sich die Therapieziele aus den individuellen Bedürfnissen eines Klienten/einer Klientin, aus den Angeboten/Möglichkeiten eines Tieres und aus der Kenntnis der in einer Situation gegebenen Möglichkeiten. Je besser ein Tier also entsprechend seinen Bedürfnissen eingesetzt wird, desto größer ist die Intensität des pädagogischen/therapeutischen Nutzens.

Der nachfolgend beschriebene Hund-Mensch-Kontakt „wirkt“ vielschichtig und ganzheitlich, obwohl hier das Tier weder methodisch noch zielgerichtet ausgewählt und eingesetzt wird, sondern im Sinne der freien Begegnung[28] „eigenständig“ als Therapeut agiert. Aus ungeleiteten tiergestützten Aktivitäten (AAA = Animal Assisted Activities) ergeben sich hier unbeabsichtigte therapeutische Erfolge. Dies hat den Vorteil, dass keine vorgefassten Erwartungen oder festgelegte Methoden die Beobachtungen beeinflussen oder in ihrem Umfang beschränken und ein breites Spektrum an Möglichkeiten offen bleibt.

4.1. Beschreibung des Hundes

Es handelt sich um meinen eigenen Hund Miró, einen schwarzen Briard-Rüden, den ich im Dezember 2001 mit 4 ½ Jahren als vierte Besitzerin übernommen hatte. Er hat eine Schulterhöhe von ca. 68 cm und langes, leicht gewelltes Fell. Briards sind französische Hüte-und Hirtenhunde mit folgenden rassetypischen Charaktereigenschaften, die selbstverständlich bei jedem Hund (auch zuchtspezifisch und sozialisationsbedingt) unterschiedlich ausgeprägt sind[29]:

-          lebhaft und aufgeweckt

-          weder ängstlich noch aggressiv

-          temperamentvoll und arbeitseifrig mit großem Beschäftigungsdrang

-          intelligent und lernfreudig

-          gute Bindungsfähigkeit bei entsprechender Haltung

-          charakterstark und entscheidungsfreudig

-          wachsam und wehrhaft

-          Reserviertheit gegenüber Fremden

(entscheidet selbst, wann er wieweit mit wem Kontakt aufnimmt, wichtig ist hier die freie Begegnung)

-          Ausgeprägte Sensibilität

-          Souveränität und falls erforderlich, Streben nach Dominanz

Der Briard ist geprägt durch seinen Hüte- und Herdenschutzinstinkt mit eigener Entscheidungsfreudigkeit und enormem Beschäftigungsdrang. Sein Wesen erfordert einen sensiblen und gleichzeitig auch konsequenten Umgang mit ihm. Der Briard liebt es, an allen Aktivitäten seines Rudels teilzunehmen. Außerhalb des Haushalts, wo er sich bei entsprechender Auslastung ruhig und unauffällig verhält, ist es daher wichtig, die Sichtweise des Briards zu kennen bzw. zu verstehen, um Situationen richtig einschätzen und vorausschauend handeln zu können. Andererseits bringt der Briard auch viele Eigenschaften mit, die sich meines Erachtens für den Einsatz in der tiergestützten Arbeit besonders eignen, wie seine extreme Bindungsfähigkeit und seine gute Ausbildungsfähigkeit. 

Im Umgang mit einem Hund, insbesondere wenn dieser zur Arbeit mit Menschen im Rahmen einer tiergestützten Therapie oder Pädagogik eingesetzt werden soll, ist es zwingend erforderlich zur Vermeidung von Stressentwicklung[30][31] individuelle  Eigenschaften des Hundes genau zu kennen und Körpersprachliche Signale zu beobachten, in ihrem Zusammenhang zu deuten und dann entsprechend einzugreifen, wie z. B. einen Hund aus einer für ihn bedrohlichen Situation herauszunehmen oder die Situation durch Beschwichtigungssignale zu entspannen.[32] Im Optimalfall sollten wesentliche Grundlagen dieser Kenntnisse an die Klientin/den Klienten weitergegeben werden. Selbstverständlich ist es wichtig, sich genau zu überlegen, wie die spezifischen Eigenschaften eines Tieres sinnvoll genutzt werden können und welche Arbeitsfelder dadurch ausgeschlossen werden müssen. Ich möchte mich daher ausdrücklich distanzieren von der Anwendung bestimmter „Rasselisten“ sowohl im Sinne der Landeshundeverordnungen als auch im Sinne der Einsatzfähigkeit für die pädagogische und/oder therapeutische Arbeit, da diese entweder auf pauschalisierten rassespezifischen Zuschreibungen beruhen oder auf der Durchführung von Wesentests, deren Aussagefähigkeit/Gültigkeit nach OLBRICH (2004) in Bezug auf Objektivität, Zuverlässigkeit und Validität – auch unter Berücksichtigung mangelnder Kenntnisse über das Wesen eines Hundes – zumindest fragwürdig erscheinen. Unberücksichtigt bleiben bei einer globalen Eignungsfeststellung von Tieren nach Art und Rasse sowohl individuelle und zuchtspezifische Charaktereigenschaften als auch Sozialisation und Ausbildungsstand.

Aus diesem Grund möchte ich einige individuelle Charaktereigenschaften von Miró, die für die nachfolgende Beschreibung relevant sind, benennen:

-          Neugierde überwiegt Reserviertheit gegenüber Fremden (Kontaktaufnahme)

-          stark ausgeprägtes territoriales Verhalten

-          extremer Spieltrieb
(mit Menschen, nicht mit anderen Hunden)

-          Beschäftigungsdrang mit Neigung zur Hyperaktivität

-          stark ausgeprägter Hütetrieb
(allen anderen Tierarten gegenüber)

-          klare Denk- und Handlungsstrukturen bezüglich körpersprachlicher Signale

-          Bindungsaufbau zu Menschen und Hunden langwierig, aber dann sehr intensiv

-          sensibel und doch charakterstark (Liebe und Konsequenz/Klarheit)

-        übereifrig und tollpatschig

-          entscheidungsfreudig

-          nicht ängstlich

(weicht bei Konflikten nicht zurück)

-          kein absoluter Gehorsam

-          bedingt leinenführig

-          liebt Wasser und Matsch

Insgesamt betrachtet handelt es sich hier um einen Hund mit einem hohen Maß an Aufforderungscharakter und Beharrlichkeit, der in seiner Haltung sehr zeitintensiv ist (Fellpflege, Schmutz, körperliche und geistige Auslastung). Obwohl er eine enge Bindung zu mir hat, benötigt er bei Außenaktivitäten wegen seiner Bereitschaft zu eigenständigem Handeln kontinuierliche Aufmerksamkeit und Beaufsichtigung. Durch das Gesamtbild seines Wesens halte ich ihn im Sinne einer Gegenpolarität für besonders geeignet, Menschen aus ihrer Inaktivität herauszuholen und zur Übernahme von Verantwortung zu animieren.

4.2. Phase der Kontaktaufnahme

Im Januar 2002, also fast drei Jahre nach dem letzten Schlaganfall, hatte Frau C. anlässlich eines Besuches bei ihr erstmals Kontakt mit Miró. Obwohl die Familie selbst früher immer einen Hund hatte (bis auf die letzte Hündin immer Pudelhündinnen), lehnt sie jetzt die Haltung jeglicher Tiere im eigenen Haushalt kategorisch ab. Vermutlich aufgrund seiner Größe und seiner tollpatschigen, unvorsichtigen Art reagierte sie sehr wütend auf den Hundebesuch und teilte mit, dass sie keine weiteren Kontakte zu Miró wünscht und „dieses Riesenvieh auf keinen Fall ins Haus kommt“. Der Ehemann von Frau C., der einen engen Bezug zu Tieren im allgemeinen und ganz besonders zu Hunden hat, bot mir jedoch gleich an, Miró einmal täglich auszuführen, da ich vollschichtig berufstätig bin und die Betreuung tagsüber noch nicht optimal geregelt war.

Damit begann eine unbeabsichtigte Phase der Desensibilisierung/ Hyposensibilisierung. Diese wird nach der Definition im Pschyrembel als „schrittweise Herabsetzung der Empfindlichkeit bei Allergien“ eingesetzt und erfolgt, indem stark verdünnte Allergenextrakte subkutan in langsam steigernder Dosierung langfristig eingespritzt werden, die die krankmachende Antikörper-Reaktion abschwächen oder verhindern“[33]. Übertragen auf die Situation von Frau C. und Miró bedeutet dies also eine sehr langsame Annäherung an den Hund mit Gewöhnungscharakter, um die Abwehrreaktion auf diesen zu verhindern. Im Sinne der Konditionierung muss also die alte Verknüpfung des vorhandenen Reiz-Reaktionsmusters (Hund = Abwehr) aufgehoben und eine neue Verknüpfung hergestellt werden (z. B. Hund = angenehme Situation).

Zunächst holte also Herr C. mit Wissen von Frau C. Miró täglich ab, ging mit ihm spazieren und brachte ihn dann wieder zu mir nach Hause. So konnte sie sich langsam an ein Vorhandensein des Hundes gewöhnen und daran, dass er in den Emotionen ihres Mannes positiv besetzt ist. Zudem ließen wir lustige oder angenehme Situationen, die wir mit Miró erlebt haben, in gemeinsame Gespräche einfließen und bezogen ihn dadurch indirekt in ihr eigenes Leben ein. Wir erzählten ihr auch von seiner Vergangenheit und in welchem verwahrlosten Zustand er war. Negative und ablehnende Äußerungen von Frau C. nahmen langsam ab. Nach circa 4 – 6 Wochen brachte Herr C. Miró nach dem Spaziergang hin und wieder mit, ließ ihn dann aber im Hof. Auch hier reagierte sie mit Ablehnung, beobachtete den Hund jedoch vom Fenster aus. Mit zunehmender Häufigkeit von Mirós Anwesenheit auf dem Gelände gewöhnte sie sich offensichtlich langsam an Aussehen und Größe des Hundes und entwickelte Neugierde. Sie betrachtete es als „Normalität“, dass Miró da war, lehnte aber immer noch den direkten Kontakt ab. Diese Phase dauerte ebenfalls 4 – 6 Wochen.

Dann entschloss sie sich aus eigenem Antrieb (!!!), in den Hof zu gehen und einen Kontakt mit „dem Riesenvieh“ zu riskieren. Voller Freude stürmte Miró in all seiner Tollpatschigkeit auf Frau C. zu, die natürlich wieder Angst bekam, auch dass er an ihr hochspringen und sie umwerfen würde. Wissend um die Gleichgewichtsstörungen von Frau C. habe ich ihm diese Angewohnheit allerdings gleich nachdem er zu mir kam, in allen Situationen strengstens untersagt. So verlangsamte er sein Tempo und nahm in seiner beharrlichen, aufdringlichen Art Körperkontakt zu ihr auf. Wir beschränkten diese Situation auf einen sehr kurzen Zeitraum, um sie nicht zu überfordern und dadurch erneut Ablehnung zu erzeugen. Ob sie diese Begegnung bereits als angenehm oder nur als „nicht wirklich schlimm“ empfunden hat, war nicht zu erkennen. In den folgenden Wochen kam sie aber regelmäßig zu Miró in den Hof, manchmal mehrmals an einem Nachmittag (natürlich immer im Beisein von Herrn C. oder mir, wenn ich ihn abends dort abholte).

Im Mai 2002 erkrankte Miró und entwickelte alle Anzeichen einer chronischen Borreliose, die vermutlich durch die Borreliose-Impfung in Zusammenhang mit seinem anfänglich sehr schlechten Zustand verursacht wurde. Es ging ihm insgesamt durch die ständige Verabreichung von Schmerzmittel, Cortison und Antibiotikum sehr schlecht und er lahmte zeitweise gleichzeitig an zwei Beinen. Natürlich war es nicht möglich, dass Miró sich in diesem Zustand nachmittags im Hof bei Familie C. aufhielt (territoriales Verhalten des Hofes hat ständige Bewegung zur Folge) und Herr C. und ich kamen zunächst überein, dass er nach einem kurzen Spaziergang mittags wieder zu mir nach Hause gebracht wird. Die Gespräche darüber führten wir größtenteils in Anwesenheit von C.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die Kontakthäufigkeit – meist initiiert durch Miró – bereits zugenommen. Frau C. empfand es zwar als störend, wenn Miró im Hof bellte, nahm seine Anwesenheit – vermutlich bedingt durch ihr starkes Bedürfnis nach und die Verinnerlichung von Regelmäßigkeit – aber als Normalität hin. Auch die Kontaktintensität machte gute Fortschritte (den Hund streicheln, mit dem Hund reden, nach ihm fragen, den Namen des Hundes üben) und der Versorgungstrieb hat angefangen, sich zu entwickeln (frisches Wasser hinstellen, Leckerlis geben). Hund und Mensch haben begonnen, eine Bindung aufzubauen. Durch diese Bindung und ihr eigenes erfahrendes Leid konnte sie mitempfinden und bestimmte, dass es unzumutbar sei, den armen kranken Hund den ganzen Nachmittag alleine bei mir zu Hause zu lassen und dass er ja unten in den Hausflur könne. Aber in die Wohnung käme er nicht! Miró, der als Hund ein Rudeltier ist und briard-typisch immer bei seinen Menschen sein will, lief dann jedoch immer zur Treppe hoch und wollte in die Wohnung. Frau C. wusste durch ihre Gehbehinderung, wie beschwerlich es ist, mit einem „lahmen“ Bein die Treppe zu bewältigen und gestattete Miró am gleichen Tag den Zutritt zur Wohnung, in die er sich mit Selbstverständlichkeit integrierte, nachdem er sich alles genau angesehen und beschnüffelt hatte (es ist für den Hund sehr wichtig und dient auch seiner geistigen Auslastung, alles olfaktorisch zu erfassen).

Damit war die Desensibilisierungsphase in einem Zeitraum von etwa 5 Monaten beendet. Obwohl der Ablauf nicht bewusst geplant und methodisch entwickelt wurde, hat sich gezeigt, dass seitens des Hundes wichtige Eigenschaften für den Bindungsaufbau in dieser Phase förderlich waren:

-          Neugierde – fördert die Kontaktaufnahme

-          Selbstbewusstsein – lässt sich nicht abweisen, fördert die Kontaktaufnahme

-          Beschäftigungsdrang – fördert die Kontaktaufnahme durch Aktivität

-          sensibel und doch charakterstark – spürt Einschränkungen des Menschen, nimmt Rücksicht, lässt sich dadurch aber nicht manipulieren

-          langsamer, intensiver Bindungsaufbau – harmoniert mit Bedürfnissen von Frau C.

-          langes Fell – fördert Kontaktaufnahme durch angenehmes, taktiles Empfinden

-          Größe – erleichtert das Streicheln (Gleichgewichtsstörungen beim Bücken)

Gleichzeitig haben wir unbewusst wichtige Faktoren bei der Hund-Mensch-Begegnung, die beim professionellen tiergestützten Arbeiten wesentliche Voraussetzungen für eine Beziehungsarbeit (Hund – Therapeut/Pädagoge – Klient) darstellen, beachtet:

-          freie Begegnung zwischen Hund und Klient

-          Möglichkeit zur Orientierung für den Hund (herumlaufen, schnüffeln)

-          Kontakthäufigkeit und –intensität bestimmen sich durch Hund und Klient

-          zielgerichtetes Vorgehen unter Berücksichtigung der Entwicklungsverläufe

(erfordert Flexibilität in der Suche nach neuen Ansätzen und der Zielfestlegung)

Unter Beachtung der in der Fortbildung vermittelten Inhalte, auch im Hinblick auf eine spätere Verwertbarkeit für empirische Untersuchungen, halte ich eine strukturierte Vorgehensweise für erforderlich. Hierzu gehört, dass vor Beginn der praktischen Arbeit mit dem Hund (oder einem anderen Tier) umfassende Informationen über die Erkrankung im allgemeinen und den individuellen Krankheitsstand des Klienten/der Klientin zu eruieren sind und in ausreichender, verständlicher Form mit den Betroffenen (auch Angehörige und ins Behandlungskonzept eingebundene Freunde) besprochen werden sollten. In diesem Rahmen ist auch eine umfassende Anamneseerhebung unter Berücksichtigung der Biografie wichtig, um die Zielformulierung und die Festlegung der Methode möglichst genau mit dem Krankheitsbild und individuellen Anforderungen und (Ab-)Neigungen aller Betroffenen abstimmen zu können. Auch für den Umgang mit dem Hund muss ausreichendes Wissen über seine Bedürfnisse und Eigenarten vermittelt werden. Hierdurch können zum einen im Vorfeld Ängste und Unsicherheiten abgebaut und zum anderen negative Einflussfaktoren minimiert werden.

Die Erstellung eines Hygieneplans, wie sie nach SCHWARZKOPF beim Einsatz von Tieren in Institutionen empfohlen wird, ist im Rahmen von rein häuslichen Besuchen und der Durchführung von Außenaktivitäten zwar nicht erforderlich, es sollten aber dennoch einige Punkte berücksichtigt werden[34]:

-          Dokumentationen zum Tier

(Nachweis über Impfungen und Entwurmungen, sowie Versicherungsnachweis; falls vorhanden, Nachweise über abgelegte Prüfungen)

-          Zugangsbeschränkungen für Tiere in Absprache mit den Betroffenen

(z. B. Schlafzimmer, Küche, Speisekammer, „gute Stube“)

-          Informationen über mögliche Erreger, Übertragungswege und Risikogruppen

(Viren, Bakterien, Pilze, Parasiten)

-          Informationen über mögliche Verletzungen

(Unfälle, Biss- oder Kratzverletzungen)

-          Nachweis über regelmäßige tierärztliche Kontrolle des Hundes

(allgemeiner Zustand, Blut, Kot)

-          Informationen über Hygienemaßnahmen beim Umgang mit Tieren

(Reinigung der Umgebung, ggfls. Desinfektion, Händewaschen, Waschen von Hundedecken, ...)

Nachdem alle diese Modalitäten mit dem Klient/der Klientin und den sonstigen in die Arbeit mit einbezogenen Personen besprochen und festgelegt worden sind, kann ein entsprechender Behandlungs-/Förderplan erarbeitet werden, der an erreichbaren Teilzielen orientiert ist. Ich möchte mich der Auffassung von OTTERSTEDT anschließen, die eine Anfertigung von Protokollen über die einzelnen Arbeitsstunden anregt, um das Behandlungskonzept entsprechend zu reflektieren und gegebenenfalls an die aktuelle Situation anpassen zu können.

Behandlungsverlauf, Fortschritte und Veränderungen des Förderplans sollten nach Möglichkeit regelmäßig mit den Beteiligten besprochen werden.

4.3. Verlauf der Hund-Mensch-Beziehung

Nachdem Frau C. im Verlauf der Desensibilisierung ihre grundsätzliche Ablehnung und ihre Ängste gegenüber Miró abgelegt hatte, betrachtete sie ihn als Familienmitglied, das inzwischen fest in die Planung ihres Tagesablaufes integriert ist. Genauso wie es zu ihrer Regelmäßigkeit gehört, um eine bestimmte Uhrzeit Essen zu kochen, zu putzen oder fern zu sehen, gehört das Eintreffen von Miró montags bis donnerstags von vierzehn bis siebzehn Uhr. Es hat also nicht nur eine emotionale Bindung stattgefunden, sondern eine Übernahme des Hundesbesuchs als feste Institution mit allen Vor- und Nachteilen.

Während wir anfangs darauf geachtet haben, dass Frau C. sich „lediglich“ in unserem Beisein mit der Anwesenheit und der Kontaktaufnahme mit Miró auseinandersetzen musste und wir alle sonstigen Versorgungs- und Kontrollmechanismen (z. B. Abputzen der Pfoten, bevor er das Haus betritt, Erteilen von Kommandos) des Hundes übernommen haben, wurde nach und nach der Verantwortungsbereich von Frau C. erweitert. Im Laufe der Zeit hat sie sich einige Kommandos eingeprägt, die sie zwar nicht immer konsequent, aber ohne Angst versucht, durchzusetzen. Wenn Miró beispielsweise im Weg liegt, so hat sie die Wahl entweder über ihn zu steigen (Förderung des Gleichgewichtssinns) oder ihn aufstehen zu lassen (Förderung des Selbstbewusstseins). Selbstverständlich versucht sie auch heute noch, die Regelung solcher Situationen auf uns zu übertragen – wie sie das auch in anderen Lebensbereichen versucht.

Obwohl Frau C. sich während eines halben Jahres an Miró gewöhnt und ihn innerhalb des Hauses und des restlichen Grundstückes kennen und einzuschätzen gelernt hatte, stieß jede sonstige Aktion im Beisein des Hundes zunächst auf erhebliche Ablehnung, da dies für sie auch immer gleichzeitig mit Unsicherheit verbunden war. Trotzdem haben wir den Hund möglichst oft in Unternehmungen mit Frau C. eingebunden (Spaziergang, Essen gehen, Auto fahren). Natürlich hat sie dadurch auch andere, beeindruckende und furchteinflößende Verhaltensweisen von Miró erlebt, wie das Bewachen des Autos, Auseinandersetzungen mit anderen Hunden usw. Gleichzeitig hat sie aber auch gelernt, dass diese Situationen kontrollierbar sind und keine wirklichen Schäden entstehen. Mit dem Durchleben dieser Momente hat sich ihr Selbstvertrauen gestärkt, angstbesetzte Situationen aushalten zu können. Ebenso hat sie erfahren, dass dieses Lebewesen Hund angenehme und unangenehme Eigenschaften hat und auch auslebt(!) und trotzdem (oder gerade deswegen) innig geliebt wird.

Nun bleibt noch die Beschreibung der letzten Phase unserer Mensch-Hund-Beziehung – nämlich die eigeninitiative Übernahme von Verantwortung für Miró ohne Beisein von Herrn C. oder mir. Frau C. hat den Hund, seine Eigenheiten und sein Verhalten circa 1 Jahr lang in unterschiedlichen Situationen kennen, ertragen und auch lieben gelernt. Er hat einen festen Bereich in ihren Emotionen und ihrem Tagesrhythmus eingenommen, nicht zuletzt durch seine und unsere Beharrlichkeit über einen langen Zeitraum hinweg und die Sicherheit, dass immer eine „Aufsichtsperson“ anwesend war. Normalerweise habe ich mir nachmittags frei genommen, wenn Herr C. keine Zeit hatte, mittags mit Miró spazieren zu gehen. Dies ist jedoch an meinem Arbeitsplatz nicht immer möglich, so dass nur noch die Möglichkeit bestand, den Hund einen ganzen Tag bei mir zu Hause zu lassen. Frau C. bemängelte dies aus tiefstem Herzen, eine andere Lösung war jedoch nicht zu finden. Nachmittags erhielt ich bei der Arbeit einen sehr aufgeregten Anruf von ihr. Voller Stolz erzählte sie mir, dass sie Herrn C.s Schlüssel für mein Haus genommen und Miró an der Leine zu sich nach hause geführt hätte (circa 200 m). Nun könne er bei ihr im Hof sein Geschäft erledigen und wäre auch nicht den ganzen Tag alleine. Abends lobte ich dann ihre Eigeninitiative und ihren Mut, musste ihr aber aufgrund von Mirós mangelnder Leinenführigkeit in Verbindung mit seiner Kraft erklären, dass dies sowohl für sie als auch für den Hund sehr gefährlich ist. Eigenartigerweise scheint Miró bei ihr überhaupt nicht gezogen zu haben, vielleicht aus Rücksicht auf die Einschränkungen von Frau C. oder einfach, weil kein Anlass da war (z. B. eine Katze). Trotzdem musste ich es Frau C. aus Sicherheitsgründen nachdrücklich untersagen, Miró außerhalb des Geländes an der Leine zu führen. Allerdings durfte Miró von nun an auch mal alleine mit Frau C. zuhause bleiben, nachdem Herr C. mit ihm spazieren war.

Frau C. hatte so die Möglichkeit, eigene Rituale zwischen dem Hund und sich zu entwickeln, ohne dass eine weitere Person bewusst oder unbewusst Einfluss nahm. So bekommt Miró am Nachmittag meist ein Schweineohr zum Nagen an einem bestimmten Platz. Wenn er getrunken hat, bekommt er mit einem Handtuch den Bart abgetrocknet. Wenn seine Nase läuft, lässt er sich von ihr die Nase putzen. Wenn es draußen nass ist, bekommt er die Pfoten abgeputzt, bevor er ins Haus geht. Wenn Mittagsruhe ist, bekommt er eine Decke ins Wohnzimmer gelegt, damit er sich auch ausruhen kann. Zudem achtet sie darauf, dass er regelmäßig Gelegenheit hat, sein Geschäft im Hof zu erledigen usw. Dies dient zum einen natürlich ihren Ansprüchen an eine sehr saubere Wohnung, zum anderen aber auch dem Versorgungs- und Fürsorgetrieb für den Hund.

An einem anderen Tag war Herr C. ebenfalls einen ganzen Tag nicht da und konnte den Hund so nicht zu Frau C. nach Hause bringen. Erneut erhielt ich einen Anruf von Frau C., die nun eine neue, praktikable und auch ungefährliche Möglichkeit gefunden hatte, Miró zu sich zu holen. Frau C. wusste mittlerweile, dass Miró gerne Auto fährt und fuhr mit ihrem Auto bis an meine Haustür. Durch die Ergänzung meines Treppengeländers und ihrer geöffneten Autotür hatte der Hund überhaupt keine andere Möglichkeit, als direkt auf ihren Rücksitz zu springen. Sie fuhr dann mit dem Auto in ihren Hof und schloss das ferngesteuerte Hoftor, bevor sie Miró aus dem Auto ließ. Dies war eine Problemlösung, die einen logischen Ablauf mehrerer Strategien erforderte und im Rahmen von Frau C.s Möglichkeiten eine unglaubliche Leistung bezüglich Eigeninitiative, Bewältigung von Angst und Entwicklung von Handlungsstrategien darstellte. Die Art und Weise, wie sie mir ihre Aktion schilderte (eine Kombination aus Aufregung und Freude), lässt den Rückschluss zu, dass es sich hierbei um ein Angst-Lust-Erlebnis handelte, wie es häufig im Zusammenhang mit der Delfintherapie[35] beschrieben wird.

Miró kommt nun seit etwa dreieinhalb Jahren fast täglich zu Besuch und das Zusammenspiel von Hund und Mensch hat sich sehr gut entwickelt. Wesentliche Probleme treten eigentlich nur noch im Zusammenhang mit Frau C.s Bedürfnis nach Reinlichkeit in der Wohnung auf. Durch Mirós langes Fell und seine Vorliebe für Wasser und Matsch kommt es trotz Pfotenabwischen natürlich zu erheblichen Verschmutzungen des Fußbodens, der deshalb täglich aufgewischt wird. Auch treten hin und wieder – vorwiegend bei nachfolgend beschriebenen Außenaktivitäten mit dem Hund – Situationen auf, in denen sie kurzfristig in Panik gerät, wie z. B. wenn uns ein anderer großer Hund auf einem engen Weg begegnet. Ein über die Bindung aufgebautes Grundvertrauen in Mirós Wesen lässt Panik- und Katastrophenreaktionen immer seltener auftreten.

5. Beobachtete Ergebnisse

Wie bereits in der Einleitung erwähnt, möchte ich hier nicht näher auf die vorwiegend körperlichen Effekte bezüglich Senso-Motorik, Körperkoordination und Gleichgewichtssinn eingehen. Trotzdem möchte ich erwähnen, dass eine Verbesserung in diesen Bereichen, zu der der regelmäßige Umgang mit einem Tier nahezu zwangsläufig beiträgt (z. B. durch Streicheln, Aktivität durch Versorgung, Laufen auf unebenen Wegen), zu einer Verbesserung der Gesamtbefindlichkeit beiträgt und dadurch auch dem Ziel, einem sozialen Rückzug entgegenzuwirken, förderlich ist.

Wesentlich für das Erreichen dieses Ziels waren und sind folgende Punkte:

  • Erfahrene Kompetenz im Umgang mit dem Hund (Selbstbewusstsein)
  • Entwickeln von Authentizität und Annehmen der Behinderung
  • Motivations- und Antriebssteigerung durch Versorgungstrieb für den Hund
  • Förderung der Kommunikationsfähigkeit („Ich-Du-Beziehung“)
  • Steigerung des Selbstwertgefühls durch Entwicklung von Authentzität
  • Förderung von emotionaler und sozialer Intelligenz[36] durch positive Besetzung des Mensch-Hund-Kontaktes und damit verbundene Aktivitäten
  • Kontrolle des Affekthandelns durch Bewältigung angstbesetzter Situationen (Konditionierung)

5.1. Vermehrte Aktivitäten außerhalb des
      häuslichen Umfeldes

Obwohl die Entwicklung der vorgenannten Fähigkeiten einen Zeitraum von über drei Jahren in Anspruch genommen hat, wurde dadurch nicht nur dem weiteren sozialen Rückzug entgegengewirkt, sondern es finden auch vermehrte Aktivitäten statt. Durch die Erweiterung des Aktionsradius und den damit verbundenen angenehmen Gefühlen ist zu erwarten, dass dieser Zustand mindestens beibehalten wird, vielleicht sogar noch zu steigern ist.

5.1.1. Aktivitäten ohne Hund

Durch den bereits mehrfach erwähnten Versorgungs- und Fürsorgetrieb und die Einbindung von Miró als Familienmitglied, oftmals fast mit einer Vermenschlichung verbunden, hat Frau C. auch Besorgungen für den Hund mit übernommen. So bringt sie z. B. Kotproben fürs Labor zur Post, fährt zum Metzger, um „gute“ Schweineohren für ihn zu kaufen, fährt zum Fachgeschäft, um ihm seinen Lieblingsball zum Geburtstag zu kaufen oder sie fährt zum Schlachthof, um frisches Rindfleisch für ihn einzukaufen (sie findet Trockenfutter für den armen Hund nicht zumutbar). Auch denkt sie beim Einkauf grundsätzlich daran, frisches Gemüse und Naturreis für ihn mitzubringen, das er wegen seiner Erkrankung zum Aufbau des Immunsystems benötigt. Die wesentliche Schwelle für Frau C. ist immer der erste Besuch in einem Geschäft, hierfür dient Miró sozusagen als Motivationsobjekt. Wenn sie Örtlichkeiten kennt und weiß, welchen Menschen sie dort begegnet und mit dem ersten Besuch keine negativen Erlebnisse verbunden sind, fällt es ihr beim nächsten Mal wesentlich leichter. Wenn sie ihre Schwellenangst überwunden hat, kann sie von dem Erfolgserlebnis für weitere Aktionen profitieren. Zudem hat sie durch die Erweiterung ihrer Erlebniswelt neue Gesprächsthemen und auch den Wunsch, diese mitzuteilen. Dies wiederum führt zu einer Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit durch Wortschatzerweiterung und Übung durch Anwendung.

5.1.2. Aktivitäten mit Hund

Gerade in diesem Bereich sind die Erfolge am erfreulichsten. Während Frau C. sich wegen ihrer fürsorgerischen und pflichterfüllenden Art durchaus auch zu Besorgungen für Familienmitglieder überreden ließ (immer im Rahmen ihrer Möglichkeiten), wurde es nach dem Schlaganfall zunehmend schwieriger, sie zu sonstigen Unternehmungen außerhalb des Hauses zu überreden. Selbst wenn sie zunächst zustimmte, hat sie sich meist im letzten Moment doch entschieden, zuhause zu bleiben. Dies wurde auch für die Familienmitglieder zunehmen frustrierend, da sie zum einen immer wieder auf kategorische Ablehnung stießen und zum anderen ihre eigenen Planungen dadurch häufig kurzfristig ändern mussten. Die Folge davon war, dass ihr Ehemann und ihre Töchter sie seltener in außerhäusliche Planungen miteinbezogen bzw. Versuche, sie zum Mitkommen zu motivieren, abnahmen. Allerdings erregte es oft auch den Unwillen und erhöhte die Unzufriedenheit und Frustration von Frau C., wenn sie alleine zuhause blieb.

Einfache Hinweise wie „Miró war schon so lange nicht mehr im Wald am Weiher zum Schwimmen, und das Schwimmen ist so wichtig für seine Krankheit.“ oder „Miró geht dort so gerne spazieren. Da ist ein Restaurant, welches eine gute Gelegenheit bietet, mit ihm im Freien sitzen zu können. Sonst muss er wieder mit mir seine gewohnte Runde gehen, was ihn bestimmt langweilt.“ führen nach einer schnellen, ersten Ablehnung meist kurzfristig zum Erfolg. Natürlich muss man hier beachten, dass beim Spazierengehen aufgrund der Gehbehinderung von Frau C. nur kürzere Strecken auf guten Wegen in langsamen Tempo möglich sind und der Hund trotzdem – gegebenenfalls auch vorher oder nachher – ausreichend bewegt werden muss. Jeder Ausflug soll möglichst keine negativen und viele positive Eindrücke hinterlassen, um Ängste abzubauen, das Selbstbewusstsein durch Erfolgserlebnisse zu steigern und so die Wahrscheinlichkeit einer Wiederholung zu erhöhen.

Als optimal haben sich hier kleinere Ausflüge in den Wald mit anschließendem Besuch einer Waldgaststätte herausgestellt. Hier kommen zu den positiven Einflüssen durch den Hund auch noch die Aspekte der Natur hinzu. Entsprechend der Biophiliehypothese ist eine Verbundenheit zum natürlichen Umfeld des Menschen in uns verankert, was auch den ehemals natürlichen Lebensraum mit einbezieht, dem der Wald heute wohl am nächsten kommt. Die Farbgebung in Grün- und Brauntönen in Verbindung mit dem Geruch von Bäumen, Blumen, Waldboden ect. haben eine zusätzliche beruhigende und Stress abbauende Wirkung. Hinzu kommt, dass man im Wald überwiegend auf naturverbundene Menschen und andere Hundebesitzer trifft, die gerne eine Unterhaltung anfangen. Anlass der Unterhaltung ist meistens der Hund und Frau C. reagiert auf Fragen nach Miró stolz und gibt gerne Auskunft. Es entwickeln sich soziale Kontakte, die völlig lösgelöst von ihrer Behinderung sind und Frau C. dadurch Sicherheit vermitteln. Diese Sicherheit führt zu einer Verbesserung der Sprachleistung und das positive Erlebnis verstärkt die Motivation für den nächsten Ausflug.

Als besonders angenehm hat sich auch Mirós Begleitung in Restaurants gezeigt. Ohne Begleitung des Hundes führt ein Restaurantbesuch beim Betreten des Gastraumes fast immer dazu, dass Frau C. denkt, alle anderen Menschen starren sie wegen ihrer Gehbehinderung und der Haltung ihres rechten Armes an. Natürlich schauen die meisten Anwesenden nach der Tür, wenn jemand hereinkommt und oftmals bemerken sie – im Gegensatz zu den Tieren - die Einschränkungen von Frau C. Dies erzeugt sofort Unsicherheit in ihr und verstärkt ihr Bemühen, möglichst unauffällig einen Platz in der Nähe des Eingangs oder der Toilette zu erreichen. Im ungünstigsten Fall sitzt im Restaurant jemand, den sie kennt und der sie direkt anspricht. Durch die Unsicherheit und die Anstrengung, möglichst „gut zu funktionieren“, kommt es zu einer Verstärkung der Sprachstörung und sie beendet schnell das Gespräch. Hierdurch werden soziale Kontakte vermieden oder abgebrochen und mit dem Restaurantbesuch werden unangenehme Emotionen verknüpft.

In Anwesenheit von Miró konzentriert sich die Aufmerksamkeit der meisten Menschen zunächst auf ihn. Hier sind Mirós beeindruckende Größe und sein imposantes Aussehen eindeutig von Vorteil. Während dessen hat Frau C. einen kurzen Moment Zeit, sich zu orientieren. Ähnlich wie beim Waldspaziergang werden wir auch hier oft auf den Hund angesprochen. Frau C. wird dadurch sicherer und kann ohne wesentliche Anstrengung nahezu fehlerfrei sprechen, auch ihre Bewegungsabläufe werden ungezwungener und besser.

Erfolgserlebnisse in dieser Art, von denen hier nur einige beschrieben werden konnten, haben dazu geführt, die Isolierungstendenzen von Frau C. zu stoppen und sich trotz ihres Schlaganfalles und den daraus resultierenden Einschränkungen wieder für außerhäusliche Aktivitäten und das Knüpfen sozialer Kontakte zu interessieren. Miró hat hierzu wesentlich beigetragen, auch wenn seine „Wirksamkeit“ anhand dieser Einzelfallstudie nicht bemessen und bewertet werden kann.

VI. ZUSAMMENFASSUNG

Insgesamt kann festgestellt werden, dass durch den Bindungsaufbau zwischen Frau C. und Miró zunächst unbewusst und später auch bewusst durch gezielte Intervention, Verhalten verändert worden ist. Sicher ist jedenfalls, dass Frau C. wegen mangelndem Bewusstsein über ihre Isolierungstendenzen der Erforderlichkeit einer gezielten Psychotherapie nicht zugestimmt hätte. Hinzu kommt, dass eine Therapie im herkömmlichen Sinne, die sich vorwiegend auf verbale Kommunikation stützt, erheblichen Einschränkungen durch die Aphasie unterliegt.

Es hat sich gezeigt, dass gerade vor dem Hintergrund der geschilderten Problematik ein Gewinn in der Möglichkeit der analogen Kommunikation, der Aufnahme einer fürsorglichen Beziehung und dem wertfreien Angenommensein durch den Hund, liegt. Inwieweit diese Erfolge im weiteren Verlauf beibehalten oder noch ausgebaut werden können, muss in diesem Einzelfall weiter beobachtet werden. 

VII. DISKUSSION

Im Verlauf dieser Arbeit hat sich mir immer wieder die Frage aufgedrängt, inwieweit das Ergebnis dieser Einzelfallstudie sich auf Möglichkeiten für den professionellen Einsatz eines Hundes bei Schlaganfall-Betroffenen übertragen lässt. Ich möchte nochmals betonen, dass hier nicht die Behandlung der Einzelerkrankungen im Vordergrund steht, sondern die Veränderungen der Gesamtpersönlichkeit im Hinblick auf die Einschränkung sozialer Kontakte und Aktivitäten außerhalb des häuslichen Umfeldes. Zum einen halte ich es für erforderlich, weitere Studien bei Betroffenen mit ähnlichem Krankheitsverlauf bei gleicher Intention durchzuführen, damit eine Übertragung auf ihre Allgemeingültigkeit hin überprüft werden kann. Zum anderen wären Vergleichsstudien mit einer adäquaten Kontrollgruppe ohne den Einsatz von Tieren wichtig, um die Wirkung des Hundes empirisch nachweisen zu können.

Weiterhin müsste beleuchtet werden, unter welchen Rahmenbedingungen eine professionelle „hund“-gestützte Arbeit in diesem Einsatzfeld möglich wäre. Neben der Frage, welche Berufsgruppe hierfür besonders geeignet wäre, muss insbesondere der Zeitfaktor (Dauer und Häufigkeit der Hundebesuche über einen langen Zeitraum hinweg) bedacht werden. Zudem muss der Hundebesitzer/die Hundebesitzerin bereit sein, die Intensität einer solchen Hund-Mensch-Beziehung bei mehr oder weniger fremden Klienten/Klientinnen zulassen zu können. Nicht zuletzt bleibt zu klären, wie die Finanzierung hier aussehen kann. Da ich eine zielgerichtete Arbeit hier nur in Verbindung mit fundiertem Fachwissen zum Krankheitsbild für erfolgsträchtig halte, schließe ich den Einsatz von ehrenamtlichen Hundebesuchsdienstlern aus.

Selbstverständlich müssen auch andere Komponenten von Hundekontakten geprüft werden. Die Haltung eines eigenen Hundes wäre natürlich optimal, sofern die Verantwortung für Pflege, Versorgung, Tierarztbesuche, ausreichende Beschäftigung usw. nicht bei der/dem Betroffenen liegt, sondern eine weitere im Haushalt lebende und meist anwesende Person hierfür zuständig ist. Grundsätzlich sollte berücksichtigt werden, dass affektbetonte Handlungen und Katastrohenreaktionen meist durch unvorhersehbare Situationen ausgelöst werden und diese bei der Haltung eines Hundes jederzeit eintreten können. Auch die Haltung eines Behindertenbegleithundes ist unter diesem Aspekt zu sehen und es bleibt zusätzlich zu bedenken, dass geistige Einschränkungen das Erteilen von klaren Kommandos verhindern können.

Abschließend möchte ich noch kurz darauf eingehen, warum Hunde in diesem Fall die geeigneten „Co-Therapeuten“ darstellen. Beim Lesen von SCHEIDHACKERS Ausführungen zum psychotherapeutischen Reiten in der psychosomatischen Therapie erschien mir die Arbeit mit Pferden für das Krankheitsbild des Schlaganfalls zunächst geeignet.

Beim Schreiben der Einzelfallstudie wurde mir bewusst, dass der wesentlichste Faktor für den Einsatz eines Hundes in der Tatsache liegt, ohne viel Aufwand in fast allen Situationen und flexibel einsetzbar zu sein und gerade bei gesellschaftlichen Aktivitäten wie z. B. Restaurantbesuchen den Betroffenen unterstützend zur Seite stehen zu können.

 

[1] Vgl. STIFTUNG DEUTSCHE SCHLAGANFALLHILFE S. 3

[2] Vgl. MEOCLINIC BERLIN im Internet

[3] Vgl. BÖTTGER Tiergestützte Therapie in der neurologischen Frührehabilitation

[4] Vgl. PSCHYREMBEL KLINISCHES WÖRTERBUCH S. 105

[5] Vgl. STIFTUNG DEUTSCHE SCHLAGANFALLHILFE S. 10 ff.

[6] MEOCLINIC BERLIN im Internet

[7] Vgl. hierzu auch OTTERSTEDT in Menschen brauchen Tiere S. 66

[8] PSCHYREMBEL KLINISCHES WÖRTERBUCH S. 101 f.

[9] Vgl. MEZGER im Internet

[10] Vgl. ROKITTA im Internet

[11] MEZGER im Internet

[12] Vgl. MSD

[13] ELHARDT S. 123

[14] Vgl. OTTERSTEDT in Menschen brauchen Tiere S.64 f.

[15] Vgl. SCHEIDHACKER DAS PFERD – REALES BEZIEHUNGSOBJEKT UND ARCHETYPISCHES SYMBOL

[16] KIRCHNER 1993, S. 36

[17] Vgl. OLBRICH in Menschen brauchen Tiere S. 184 ff.

[18] Vgl. ERNST im Internet

[19] OLBRICH in Menschen brauchen Tiere S. 51

[20] Vgl. hierzu OLBRICH in Menschen brauchen Tiere S. 192 ff.

[21] MEYER 1991, S. 47

[22] Vgl. PRACHT S. 152 ff.

[23] Vgl. OLBRICH in Menschen brauchen Tiere S. 52 f.

[24] Vgl. VEGETARIERBUND im Internet

[25] KLEIST Artgerechte Tierhaltung – ein Schlüssel zur Kommunikation zwischen Mensch und Tier S. 1

[26] OTTERSTEDT in Menschen brauchen Tiere S. 61

[27] Vgl. hierzu SCHEIDHACKER in Menschen brauchen Tiere S. 173 ff.

[28] Vgl. OTTERSTEDT in Tiere brauchen Menschen S. 61 ff.

[29] Vgl. NIEPEL, S. 24 ff.

[30] Vgl. hierzu BOHNET Stresserkennung in der Arbeit mit Hunden

[31] Vgl. hierzu FEDDERSEN-PETERSEN in Menschen brauchen Tiere S. 348 ff.

[32] Vgl. RUGAAS S. 65 ff.

[33] PSCHYREMBEL KLINISCHES WÖRTERBUCH S. 755

[34] Vgl. SCHWARZKOPF in Menschen brauchen Tiere S. 112, 113

[35] Vgl. BREITENBACH, STUMPF in Menschen brauchen Tiere S. 145 ff. 

[36] Vgl. SCHWARZKOPF, OLBRICH in Menschen brauchen Tiere S.255

VIII. LITERATURVERZEICHNIS

BOHNET; Dr. Willa: Stresserkennung in der Arbeit mit Hunden. Unveröffentlichtes Skript

BÖTTGER; Stefanie: Tiergestützte Therapie in der neurologischen Früh-Rehabilitation. Abt. für Neurologie, Städt. Krankenhaus München-Harlaching. Unveröffentlichtes Skript

BREITENBACH; Erwin/STUMPF, Eva: Tiergestützte Therapie mit Delfinen.
In: Menschen brauchen Tiere

ELHARDT, Siegfried: Tiefenpsychologie. Eine Einführung. 12. Aufl. Stuttgart, Berlin, Köln: Kohlhammer Verlag, 1990

ERNST, Heiko: Die Kommunikationsregeln Watzlawicks. Im Internet:
www.reichhold.de/wichern/deutsch/kommunik/lk_08.htm

FEDDERSEN-PETERSEN; Dorit Urt: Das Ausdrucksverhalten und die Kommunikation von Hunden in ihrer Bedeutung im therapeutischen Kontext. In: Menschen brauchen Tiere

KIRCHNER, Helga: Laß es jetzt geschehen. Erfahrungen mit der angenommenen Krankheit. Lahr: Kaufmann, 1993

KLEIST, Dipl.-Biol. Dr. Dagmar: Artgerechte Tierhaltung – Ein Schlüssel zur Kommunikation zwischen Mensch und Tier. In: Menschen brauchen Tiere

MEOCLINIC Berlin: Im Internet:
www.meoclinic-berlin.de/newsletter.php?l=d&topic=schlaganfall

MEYER, Gerhard: Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit. Objekte pathologischen Glücksspiels. 6. Aufl. Bochum: Universitätsverlag Dr. N. Brockmeyer, 1991

MEZGER, Dr. G. H.: Die Aphasie – Ursachen, Diagnostik, Spontanverlauf, Behandlungsmethoden, Prognosen und Möglichkeiten der sozialen Wiedereingliederung.

Im Internet: http://home.allgaeu.org/gmezger/pers/aphasie.htm

MSD Sharp & Dohme GmbH, München (Hrsg.): MSD Manual, dt. Bearb.: Prof. Dr. K. Wiemann, 5. Aufl. München, Wien, Baltimore: Urban & Schwarzenberg, 1993

NIEPEL; Gabriele: Der Briard. 1. Aufl. Berlin/Wien, Blackwell Wissenschafts-Verlag, 1997

OLBRICH, Prof. Dr. Erhard: Zur Ethik der Mensch-Tier-Beziehung aus der Sicht der Verhaltensforschung. In: Menschen brauchen Tiere

OLBRICH, Prof. Dr. Erhard: Zum Verstehen der tiergestützten Therapie: Versuch einer Integration. In: Menschen brauchen Tiere

OLBRICH, Prof. Dr. Erhard/OTTERSTEDT, Dr. Carola (Hrsg.): Menschen brauchen Tiere. Grundlagen und Praxis der tiergestützten Pädagogik und Therapie. Stuttgart: Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co., 2003

OTTERSTEDT, Dr. Carola (Hrsg.)/OLBRICH, Prof. Dr. Erhard: Menschen brauchen Tiere. Grundlagen und Praxis der tiergestützten Pädagogik und Therapie. Stuttgart: Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co., 2003

OTTERSTEDT; Dr. Carola: Grundlagen der Mensch-Tier-Beziehung. Der heilende Prozess in der Interaktion zwischen Mensch und Tier. In: Menschen brauchen Tiere

PRACHT; Elisabeth: Psychologie. Für den Unterricht an Fachschulen und Fachoberschulen der Sozialpädagogik. 3. Aufl. Köln/München: Stam-Verlag, 1987

PSCHYREMBEL KLINISCHES WÖRTERBUCH: Berlin: de Gruyter, 1998

RICHTER, Isolde: Lehrbuch für Heilpraktiker: medizinische und juristische Grundlagen. 2., überarbeitete Aufl. München, Wien, Baltimore: Urban u. Schwarzenberg, 1993

ROKITTA: Im Internet: www.rokitta-online.de/aphasie/aphasie.htm

RUGAAS; Turid: Calming Signals. Die Beschwichtigungssignale der Hunde. 3. Aufl. Grassau: animal Learn Verlag, 2001

SCHEIDHACKER, Michaela: Das Pferd - Reales Beziehungsobjekt und archetypisches Symbol. Wedemark, 2003. Unveröffentlichtes Skript

SCHEIDHACKER, Michaela: Psychotherapeutische Reiten in der psychosomatischen Therapie. In: Menschen brauchen Tiere

SCHWARZKOPF, Andreas/OLBRICH; Dr. Erhard: Lernen mit Tieren.
In: Menschen brauchen Tiere

SCHWARZKOPF, Andreas: Hygiene: Voraussetzung für Therapie mit Tieren.
In: Menschen brauchen Tiere

STIFTUNG DEUTSCHE SCHLAGANFALLHILFE (Hrsg.): Schlaganfall. Wegweiser für Betroffene und Angehörige. Gütersloh

VEGETARIERBUND: Im Internet: www.vegetarierbund.de/nv/nv_2000_l__PuT_tl__Albert_Schweitzer.htm

 

 

 

 


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S. Mohr
Dipl. Sozialarbeiterin (FH) Zusatzausbildung: Tiergestützte Pädagogik/Therapie
 
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